Bei einem neurogenen Schock handelt es sich um eine Imbalance zwischen sympathischer und parasympathischer Regulation der Herzaktion und der Gefäßmuskulatur. Im Vordergrund steht eine ausgeprägte Vasodilatation mit relativer Hypovolämie bei zunächst unverändertem Blutvolumen. Der Rettungsdienst kommt mit dem neurogenen Schock häufig im Rahmen von schweren Traumata in Verbindung.
Es handelt sich um ein immer lebensbedrohliches Notfallbild, welches eine besonders fokussierte Versorgung und einen schonenden Transport benötigt. Häufig sind die Prognosen für die Patienten sehr schlecht, oft kann eine bereits initial festgestellte Querschnittslähmung nicht mehr klinisch behoben werden.
Ursache #
Es gibt drei zugrundeliegende Pathomechanismen, welche einen neurogenen Schock verursachen können:
- direkte Schädigung der Zentren für die Kreislaufsteuerung durch Kompression (Hirnstammtrauma), Ischämie oder durch medikamentöse Wirkungen
- Unterbrechung der efferenten Nervenbahnen durch Traumen oberhalb der mittleren Brustwirbel (Th 6), auch Querschnittssyndrom genannt, und somit fehlende Reizweiterleitung von Gehirn ins Rückenmark
- wechselseitige Afferenzen zum Kreislaufzentrum in der Medulla oblongata durch Angst, Stress, Schmerzen oder fehlgesteuerte N.-Vagus-Reflexe
Häufigste Ursache für einen neurogenen Schock im Rettungsdienst ist die traumatische Durchtrennung des Rückenmarks. Im Bereich unterhalb der Verletzung (Läsion) kommt es zur fehlenden Regulation des Sympathikus, weshalb es zu einer peripheren Gefäßweitstellung und einem RR-Abfall kommt. Hinzukommt der Verlust von Sensibilität und Motorik.
Symptome #
Bei dieser Schockart zeigen Patienten eine warme (Gefäßerweiterung) und trockene (fehlende sympathische Innervation der Schweißdrüsen) Haut und haben somit keine „klassischen“ Schocksymptome der Haut.
Gekennzeichnet ist der neurogene Schock durch einen plötzlichen SRR-Abfall auf < 100 mmHg und einer Herzfrequenz von < 60/min, einhergehend mit Bewusstseinseintrübungen. Hinzukommt der inkomplette oder komplette Verlust von Sensibilität und Motorik im Bereich unterhalb der Verletzung. Je nach Höhe der Durchtrennung kommt es zu lebensbedrohlichen Symptomen.
Ein Beispiel: Die Durchtrennung im Bereich Th 1 – 4 sorgt für einen Ausfall des Sympathikus im Bereich des Herzens, durch den überwiegenden Parasympathikus kommt es zu einer Bradykardie. Genauso kann eine Durchtrennung im Bereich des Halses (C 1 – 4) zu einer Ateminsuffizienz durch fehlende Innervation der Thoraxmuskulatur führen (Zwerchfellatmung) oder aber einen sofortigen Atemstillstand auslösen.
Therapie #
Die Therapie erfolgt symptombezogen und richtet sich nach Höhe der Läsion des Rückenmarks. Zwingend sollte aber eine hochdosierte O2-Gabe und eine Volumentherapie über bestenfalls zwei großlumige i.v.-Zugänge erfolgen. Der Querschnitt sollte mithilfe von Klebeband oder einem Stift markiert werden, um etwaige Verschiebungen später erkennen zu können.
- hochdosierte O2-Gabe
- mind. ein großlumiger i.v.-Zugang
- kontinuierliches GCS & pDMS-Monitoring
- Querschnitt markieren (z.B. mit Stift oder Klebestreifen auf der Haut des Patienten)
Der Transport muss unter vollständiger Immobilisierung (zwingend Vakuummatratze) erfolgen, frühzeitig sollte auch an einen luftgebundenen Transport gedacht werden. Die Zielklinik muss über eine Neurochirurgie mit OP-Bereitschaft und intensivmedizinischen Kapazitäten verfügen.
Medikamente #
Eine Volumentherapie ist unumgänglich, ergänzend dazu werden Katecholamine zur Stabilisierung des Blutdrucks eingesetzt. Bradykardien werden gemäß der SOPs zur Bradykardie behandelt. Sofern eine Analgesie nötig ist, ist eine Kombination aus Esketamin und Midazolam empfohlen.
- Infusionslösung (Jonosteril oder Ringer): RDE: 1500 – 2000 ml
-> Ziel ist eine permissive Hypotension, die Wirkung sollte durch eine engmaschige RR-Kontrolle kontrolliert werden - Noradrenalin: 0,05 – 1 μg/kg/min
-> zur Stabilisierung des Blutdrucks, zwingend über einen Perfusor zu geben - Adrenalin
-> sofern Noradrenalin nicht ausreichend ist, kann Adrenalin ergänzt werden - Atropin: gem. Vorgaben aus dem FS “lebensbedrohliche Bradykardie” -> zur Behandlung von bradykarden Phasen
- Esketamin & Midazolam zur Analgesie
CAVE: Methylprednisolon wird nicht mehr empfohlen, da es das Outcome nicht verbessert!
Früher wurde es eingesetzt, um die Kaskade der Sekundärschädigungen zu unterbrechen (Zellmembranstabilisierung, Reduktion freier Sauerstoffradikale, Reduktion der Entzündungsmediatoren, Verbesserung der Minderdurchblutung).
Quellen #
- Bastigkeit, M. (2019). Medikamente in der Notfallmedizin. Edewecht, Deutschland: Stumpf + Kossendey.
- Enke, K., Flemming, A., Hündorf, H.-P., Knacke, P. G., Lipp, R. & Rupp, P. (Hrsg.). (2015). Lehrbuch für präklinische Notfallmedizin: Patientenversorgung und spezielle Notfallmedizin (5. Aufl., Bd. 1). Edewecht, Niedersachsen: Stumpf + Kossendey.
- Gores, M. & Schneck, J. (2018). Wenn der Druck raus ist – die verschiedenen Schockformen. retten!, 7(05), 334–343. https://doi.org/10.1055/a-0629-0060
- Jeanneret, B. & Mäder, M. (2008). Hochdosiertes Methylprednisolon in der Behandlung des akut Querschnittverletzten. Swiss Medical Forum ‒ Schweizerisches Medizin-Forum, 8(14). https://doi.org/10.4414/smf.2008.06453
- Luxem, J., Runggaldier, K., Karutz, H. & Flake, F. (Hrsg.). (2016). Notfallsanitäter Heute (6. Aufl.). München, Deutschland: Urban & Fischer.
- Riepl, C. (2019). Wirbelsäulenverletzungen – die verborgene Gefahr. retten!, 8(04), 270–279. https://doi.org/10.1055/a-0653-8438
- Riepl, C., Röhrer, S., Muth, C., Gebhard, F. & Schicho, A. (2016). Präklinisches Management von Wirbelsäulenverletzungen – Prehospital Managemant of Spine Injury. Der Notarzt, 32(04), 190–198. https://doi.org/10.1055/s-0042-112255
- Standl, T., Annecke, T., Cascorbi, I., Heller, A. R., Sabashnikov, A. & Teske, W. (2018). The Nomenclature, Definition and Distinction of Types of Shock. Deutsches Aerzteblatt Online. https://doi.org/10.3238/arztebl.2018.0757