Ein Krampfanfall (epileptischer Anfall) entsteht durch eine überschießende Entladung von Neuronen im Gehirn. Die Leitlinie der Deutschen Gesellschaft für Neurologie definiert einen epileptischen Anfall wie folgt:
„Ein epileptischer Anfall ist ein vorübergehendes [< 2 min] Auftreten von Anzeichen und / oder Symptomen aufgrund einer pathologisch exzessiven oder synchronen neuronalen Aktivität im Gehirn.
In Abhängigkeit vom Ort und der Ausprägung der Anfälle variiert die Phänomenologie erheblich. Sie reicht z. B. von nur wenige Sekunden dauernden motorischen und sensiblen Phänomenen über Aussetzer (Absencen) und Abläufe mit Zuckungen einer Extremität bis hin zu komplexeren Bewegungs- und Bewusstseinsphänomenen und zu klassischen tonisch-klonischen Anfällen.“
Nach einem Anfall folgt in den meisten Fällen eine Nachphase (postiktale Phase), welche Stunden anhalten kann. In dieser kommt es zu Symptomen wie Sprachstörungen, Vigilanzminderungen, Lähmungen, Gedächtnisstörungen und teilweise psychischen Störungen bis hin zu aggressivem Verhalten.
Ursache #
Ursachen für das Auftreten eines epileptischen Anfalls können sein:
- bekannte Epilepsie
- Hypoglykämie
- zerebrale Raumforderungen (z.B. durch Tumoren oder Blutungen)
- fieberhafte Infekte (→ Fieberkrampf häufig bei Kindern)
- Ischämien (bspw. Schlaganfall)
- Entzug oder Abusus von Suchtmitteln (z.B. Alkohol oder anderen Drogen)
- Hypoxie (z.B. bei Herz-Kreislauf-Stillstand)
- strukturelle Schädigungen des Gehirns durch Trauma (SHT)
Anfallsformen #
Es wird zwischen generalisierten und fokalen Krampfanfällen unterschieden. Generalisierte Krampfanfälle betreffen beide Gehirnhälften gleichermaßen, während fokale Krampfanfälle nur in einem begrenzten Bereich einer Hirnhälfte stattfinden.
generalisierter Krampfanfall #
Der generalisierte tonisch-klonische Anfall (früher “Grand mal”), ist die eindrücklichste Form des Krampfanfalls. Er besteht aus einer tonischen Phase, in welcher sich die Muskeln versteifen und der Patient ohne jegliche Schutzreflexe plötzlich stürzt. Hierbei kann es zu einem Versteifen der Atemmuskulatur kommen, wodurch ein kurzzeitiger Atemstillstand entsteht. Im Anschluss folgt die klonische Phase mit Zuckungen der gesamten Körpermuskulatur, sichtbar vor allem an den Extremitäten. Im Anschluss folgt eine ausgiebige postiktale Phase mit neurologischen Symptomen. Vor Beginn des Anfalls wird durch Patienten eine Aura (Vorgefühl) beschrieben.
Im Rahmen eines myoklonischen Anfalls treten bei vollem Bewusstsein plötzlich unwillkürliche Muskelzuckungen auf. Diese Anfälle dauern nur wenige Sekunden an und betreffen vorwiegend die Arme, Schultern oder den Oberkörper. Auslöser können neben einer epileptischen Erkrankung auch Schlafmangel, Stress und Alkoholkonsum sein.
Absencen sind kurze und plötzlich einsetzende Abwesenheiten mit stark eingeschränktem oder völlig fehlendem Bewusstsein. Sie dauern wenige Sekunden an, beginnen und enden abrupt und haben anders als der generalisiert tonisch-klonische Anfall keine Aura. Absencen treten häufig im Kindes- und Jugendalter auf.
Weitere Formen sind der klonische (beugende), tonische (streckende) oder atonische (astatische) Krampfanfall.
fokaler Krampfanfall #
Der fokale Krampfanfall findet in einem begrenzten Bereich eine Hirnhälfte statt. Die Symptome hängen daher von der betroffenen Hirnregion ab und können motorische, sensorische, autonome oder psychische Funktionen betreffen.
Der einfache-fokale Anfall kennzeichnet sich durch lokal begrenzte Symptome je nach betroffener Hirnregion, es liegt keine Bewusstseinsstörung vor und der Patient hat volle Erinnerungen an das Ereignis.
Bei einem komplex-fokalen Anfall kommt es neben der lokal begrenzten Symptomatik zusätzlich zu Bewusstseinsstörungen. Patienten können Automatismen wie Schmatzen oder Lippenlecken zeigen. Nach Ende des Anfalls kann eine Amnesie vorliegen.
Wenn sich ein fokal beginnender Anfall über beide Hemisphären des Gehirns ausbreiten, kann es zu einem generalisiert tonisch-klonischen Anfall kommen. Man spricht dann von einem fokalen Anfall mit sekundärer Generalisierung.
Symptome #
Eine möglichst genaue Beschreibung über Ablauf und Dauer des Krampfes ist entscheidend für die Einordnung der Anfalls und die Festlegung weiterer therapeutischer Maßnahmen. Sollten Videos des Anfalls vorliegen, sollten diese zwingend den behandelnden Neurologen zur Verfügung gestellt werden.
Da der Rettungsdienst meist nach Beendigung eines Krampfanfalls beim Patienten eintrifft, kann der vorausgegangene Krampf durch folgende Symptome bei unklarer Vigilanzminderung differenzialdiagnostisch abgegrenzt werden:
- Zungenbiss vorhanden
- Stuhl- und Harnabgang
- periokuläre petechiale Einblutungen rund um die Augen (“Forellenaugen”)
- Zyanose und niedrige SpO2 aufgrund einer insuffizienten Atmung während des Anfalls
- Schaum vor dem Mund
- sekundäre Verletzungen, die beim Krampfanfall entstanden sind
Während der postiktale Phase kann es zu Symptomen wie Sprachstörungen, Vigilanzminderungen, Lähmungen, Gedächtnisstörungen und teilweise psychischen Störungen bis hin zu aggressivem Verhalten.
Einen wichtigen Beitrag zur Differentialdiagnostik können auch die Augen des Patienten liefern, hierzu ist allerdings eine spezifische Fremdanamnese oder ein durch den Rettungsdienst beobachtetes Krampfereignis notwendig.
geöffnete Augen, Pupillen schauen geradeaus / seitlich nach oben, sind nicht lichtreagibel | epileptischer Anfall |
geschlossene Augen | Synkope |
nach oben verdrehte Augen (nicht seitlich!) | psychogener nicht-epileptischer Anfall |
Therapie #
Die Therapie eines Krampfanfalls unterscheidet sich zwischen einem noch andauernden und einem bereits abgeschlossenen Anfall.
Therapie auf einen Blick
andauernder Krampfanfall:
- Krampf medikamentös durchbrechen
→ Midazolam i.n / i.m. oder i.v.
→ Lorazepam i.v. oder Diazepam i.v. - patientengefährdende Gegenstände entfernen
abgeschlossener Krampfanfall:
- Atemwege sichern
- hochdosierte O2-Gabe (Ziel-SpO2: 94 – 98 %)
- i.v.-Zugang prophylaktisch für erneuten Anfall etablieren
- BZ-Messung
andauernder Krampfanfall #
Ein epileptische Anfall, welcher länger als 5 Minuten anhält, oder mehr als 2 aufeinanderfolgende Anfälle über einen Zeitraum von mehr als 5 Minuten ohne Wiedererlangen des Bewusstseins, werden als Status epilepticus bezeichnet stellen ein dringend therapiebedürftiges Notfallbild dar!
Bei Patienten mit einer Neigung zu Anfallsserien kann die Gabe von Notfallmedikamenten abweichend bereits nach dem ersten Anfall erwogen werden.
Hingegen wird bei einem einzeln auftretenden Krampfanfall, welcher die obigen Kriterien nicht erfüllt, die Gabe eines Benzodiazepin nicht empfohlen.
Neben der möglichen Gabe eines Benzodiazepine zur Durchbrechung des Krampfanfalls, sollten stets potenziell patientengefährdende Gegenstände entfernen werden. Ein Beißschutz ist obsolet und kontraindiziert, da das Risiko von Zahnschädigungen und Aspiration besteht.
Medikamente #
Als Medikament kommt bei den meisten Rettungsdiensten Midazolam aufgrund seiner umfangreichen Applikationswege zum Einsatz. Da bei aktiv krampfenden Patienten die Anlage eines intravenösen Zugangs erschwert sein kann, empfiehlt die Leitlinie eine intramuskuläre (i.m.) oder intranasale (i.n.) Gabe.
Applikationsart | intranasal / intramuskulär | intravenös |
Ampulle Midazolam | 15 mg / 3 ml Midazolam | 5 mg / 5 m Midazolam |
Richtdosis | >40 kgKG = 10 mg i.n. / i.m. <40-13 kgKG = 5 mg i.n. / i.m. | >40 kgKG = 10 mg i.v. <40-13 kgKG = 5 mg i.v. |
Dosierung pro kgKG | 0,2 mg/kgKG i.n. / i.m. | 0,2 mg/kgKG i.v. |
Als Alternativen zu Midazolam sind Diazepam oder Lorazepam im deutschsprachigen Rettungsdienst verbreitet.
abgeschlossener Krampfanfall #
Sollte der Krampfanfall abgeschlossen sein erfolgt die Behandlung nach dem ABCDE-Schema. Wichtige Maßnahmen können sein:
- Sicherung der Atemwege (evtl. Esmarch-Handgriff, Guedel- & Wendeltubus)
- hochdosierte O2-Gabe (Ziel-SpO2: 94 – 98 %)
- i.v.-Zugang prophylaktisch für erneuten Anfall etablieren
- BZ-Messung
Krankenhaustransport #
Grundsätzlich sollte jeder Patient bei Auftreten eines erstmaligen Krampfanfalls in einer Klinik mit neurologischer Fachabteilung vorgestellt werden. Bekannte Epileptiker hingegen müssen nicht zwingend in eine Klinik gebracht werden, hier sollte zusammen mit dem Patienten, Angehörigen etc. eine Lösung gefunden werden. Sollte eine adäquate Betreuung allerdings nicht gegeben sein, ist auch hier der Transport in die Klinik dringend zu empfehlen.
Differentialdiagnostik #
Epileptische Anfälle müssen von Gelegenheitskrämpfen abgegrenzt werden. Dies sind im Kindesalter z.B. Fieberkrämpfe und bei Erwachsenen Krämpfe bedingt durch Alkohol- oder Drogenabusus oder Dehydration (Aufzählung nicht abschließend). Die Behandlung dieser Krampfanfälle ist im Rettungsdienst jedoch weitestgehend identisch.
- psychogene nicht-epileptische Anfälle (dissoziative Anfälle)
- (konvulsive) Synkope
- transitorische globale Amnesien (TGA)
- transitorische ischämische Attacke (TIA)
- Hypoglykämie
- Schädel-Hirn-Trauma
Quellen #
- Bastigkeit, M. (2019). Medikamente in der Notfallmedizin. Edewecht, Deutschland: Stumpf + Kossendey. – 314 – 319
- Deutscher Berufsverband Rettungsdienst e.V. (DBRD). (2024). Muster-Algorithmen 2024 zur Umsetzung des Pyramidenprozesses im Rahmen des NotSanG. https://dbrd.de/images/algorithmen/DBRDAlgo24_Web9_2.pdf
- Holtkamp, H. & May, T. (2023). S2k-Leitlinie Erster epileptischer Anfall und Epilepsien im Erwachsenenalter. Deutsche Gesellschaft für Neurologie. https://dgn.org/leitlinie/erster-epileptischer-anfall-und-epilepsien-im-erwachsenenalter
- Rosenow, F. & Weber, J. (2020). S2k-Leitlinie Status epilepticus im Erwachsenenalter. Deutsche Gesellschaft für Neurologie. https://dgn.org/leitlinie/status-epilepticus-im-erwachsenenalter
- Rossetti, A. & Rüegg, S. (2024, 24. Oktober). Anfallsformen Epilepsie. Schweizerische Epilepsie-Liga. https://www.epi.ch/ueber-epilepsie/einstieg/anfallsformen/