ERC Guideline: erweiterte Reanimationsmaßnahmen
Das International Liaison Committee on Resuscitation (ILCOR) definiert den Ertrinkungsunfall als Prozess, der aus einer primären respiratorischen Beeinträchtigung durch Eintauchen und/oder Untertauchen in ein flüssiges Medium resultiert. Diese Definition impliziert, dass eine Flüssigkeits-Luft-Grenzfläche am Beginn des Atemwegs des Betroffenen vorhanden sein muss, die verhindert, dass der Betroffene Luft atmen kann. Er kann nach diesem Prozess leben oder sterben, aber er war per Definitionen auf jeden Fall in einen Ertrinkungsunfall verwickelt.
Ertrinken ist dabei das sich Füllen der Alveolen mit Flüssigkeit durch Aspiration oder Sekretstau, wobei eine Reanimationssituation nahezu immer aufgrund der Hypoxie auftritt. Man unterscheidet die Arten des Ertrinkens wie folgt:
- nicht-tödliches Ertrinken: Prozess des Ertrinkens wird unterbrochen (z.B. durch Rettung)
- tödliches Ertrinken: Patient verstirbt zu irgendeinem Zeitpunkt an den Folgen des Ertrinkens
- sekundäres Ertrinken: Untertauchen/Ertrinken des Opfers sekundär nach anderen Ursachen (z.B. Tauchunfall oder Herzinfarkt)
Alle anderen Definitionen wie z.B. “Beinahe-Ertrinken”, “nasses” oder “trockenes” Ertrinken, etc. sind veraltet und sollen nicht mehr angewandt werden!
Ursache #
Nach dem Eintauchen des Kopfes in Flüssigkeit (Submersion), kann der Atemreiz von untrainierten Menschen maximal 2 Minuten unterdrückt werden. Durch das Entstehen von Panik oder dem Einsetzen des Atemreizes kommt es zur Aspiration von Flüssigkeit. Hierdurch entsteht ein Laryngospasmus durch welchen eine Hypoxie mit Bewusstlosigkeit auftritt.
85-90% der Patienten | 15-10% der Patienten |
Bewusstlosigkeit führt zu Lösung des Laryngospasmus Aspiration von großen Flüssigkeitsmengen | Laryngospasmus bleibt bestehen kein Eindringen weiterer Flüssigkeit in die Lunge |
Ab einer Menge von 2ml/kgKG aspirierter Flüssigkeit kommt es zu folgenden aufeinanderfolgenden Auswirkungen auf den pulmonalen Gasaustausch:
- Füllung der Alveolen verringert die Gasaustauschfläche
- Bildung von Atelektasen (luftleeres Lungengewebe) durch Auswaschung und Denaturierung von Surfactant (Substanz auf der Oberfläche der Alveolen)
- darauf folgende alveolo-kapilläre Schrankenstörung
- initiale, vorübergehende Hypervolämie der pulmonalen Strombahn
- Bildung eines Lungenödems mit pulmonalem Rechts-Links-Shunt
- Folgen: Hypoxämie, Hyperkapnie, Rechts-Links-Shunt und respiratorisch-metabolische Azidose (Übersäuerung des Körpers) inkl. Auftreten von Organschäden (u.a. Gehirn, Leber, Niere, Herz)
Rettung #
Bei der Rettung von Personen aus Gewässern, muss immer der Eigenschutz beachtet werden (Eisrettung, Strömung, Schiffsverkehr, etc.).
Hierbei sollte die Rettung so schnell wie möglich und in horizontaler Lage erfolgen, um einen Kreislaufkollaps zu verhindern! Nackenbewegungen sollten vermieden werden, bei Ertrinken in seichtem Wasser muss zwingend eine HWS-Immobilisierung durchgeführt werden.
Ein günstiges Outcome wird nur bei einer Zeit unter Wasser von < 10 Minuten beschrieben, ab > 25 Minuten verringern sich die Chancen rapide. Eiskaltes Wasser verlängert das Zeitfenster für ein Überleben deutlich.
Symptome #
Symptome die neben einer Reanimationssituation oder nach erfolgreicher Reanimation auftreten können, sind:
- Hypothermie
- Bewusstlosigkeit, Apnoe, Zyanose
- Zeichen eines Lungenödems
- Krämpfe
- panische Angst, Erregung
- angestrengte, unregelmäßige Atmung
Therapie #
Maßnahme | Details |
Lagerung |
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Atemwege |
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Sauerstoff | bewusstlos -> 15l High-Flow O2 über Maske wach -> 4-6l O2 über Nasensonde |
Infusion | i.v. Zugang mit kristalloider Inf.-Lösung |
weitere Maßnahmen |
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Sauerstofftherapie #
Es erfolgt eine umgehende Sauerstoffversorgung noch während der Erstbeurteilung:
bewusstlose Patienten | 15l High-Flow O2 über Maske (mit Reservoir) |
wache Patienten | 4 – 6l O2 über Nasensonde |
Atemwegsmanagement #
Patienten mit Bewusstseinstrübung, Bewusstlosigkeit, Kreislaufstillstand oder Zeichen eines Lungenversagens müssen umgehend am Unfallort endotracheal intubieren und beatmet werden.
CAVE: Aufgrund hoher Beatmungsdrücke sind supraglottische Atemwegshilfen nicht nutzbar!
Die Beatmung & Intubation erfolgt bei eingetrübten / bewusstlosen Patienten in OKH-Lage, um der erhöhte Aspirationsgefahr Rechnung zu tragen. Es sollte eine Magensonde zur Erleichterung der Beatmung eingebracht werden.
In der Regel wird ein PEEP von mind. 5-10 mbar eingestellt werden, Ziel ist eine spO2 > 94%.
CAVE: Eine PEEP-Beatmung kann durch erhöhten intrathorakalen Druck zur Reduktion des venösen Blutrücklaufs zum Herzen und damit zu RR-Abfall führen!
weitere Maßnahmen #
Es wird zügig ein i.v.-Zugang angelegt und kristalloide Infusionslösung verabreicht, da Patienten häufig hypovoläm sind.
CAVE: Bei gleichzeitig bestehender Hypothermie führt schnelle Infusionsgabe zur Ausprägung des Lungenödems!
Bei Unfällen in seichtem Wasser muss zwingend eine HWS-Immobilisation durchführt werden!
Reanimation #
Ertrinkungsopfer, die nur kurzzeitig unter Wasser waren, können zeigen:
- eine abnormale (agonale) Atmung
-> Atmung genau beurteilen! - eine extreme Bradykardie, die durch reine Palpation nicht erkannt werden könnte
-> zeitnahes EKG-Monitoring!
Ablauf der Reanimation
- 5 initiale Beatmungen mit Sauerstoff; für ausreichende Effizienz muss eine deutliche Thoraxhebung erkennbar sein (Merke: Reanimation ohne Beatmung ist ineffektiv!)
- wenn nach initialer effektiver Beatmung keine Lebenszeichen, weiter mit:
- 30:2 Rhythmus, Reanimation nach gültiger ERC-Guideline
- Absaugung von Schaum nur, wenn dieser die Beatmung unmöglich macht (bei der Thoraxkompression oral austretenden Schaum ignorieren, da dieser kontinuierlich nachläuft; Absaugen kostet zu viel Zeit)
Achtung: Bei Aufkleben von Defi-Pads vorher den Thorax des Patienten abtrocknen, nicht in Pfützen defibrillieren!
bei Hypothermie #
Patienten die in kaltes Wasser gestürzt sind, sind in aller Regel hypotherm. Bei dieser Gruppe von Ertrinkungsopfern müssen folgende Punkte zusätzlich beachtet werden:
- Patienten so wenig wie möglich bewegen, horizontal retten (Stichwort: “Bergungstod”)
- umgehend isolieren, um Schutz vor weiterer Auskühlung zu bieten (z.B. Rettungsdecke), nasse & kalte Kleidung entfernen
- Reanimation so lange durchführen, bis der Patient im Krankenhaus eine normale Körpertemperatur hat („nobody ist dead, until he is warm and dead“)
- Abbruch der Reanimation nur bei eindeutiger Klarheit (z.B. mit dem Leben nicht zu vereinbare Begleitverletzungen, Verwesung, etc.)
Patienten sollten niemals aktiv erwärmt werden (Stichwort: “Afterdrop”)!
Differentialdiagnostik #
- Abgrenzung zu sekundärem Ertrinken: Untertauchen/Ertrinken des Opfers sekundär nach anderen Ursachen (z.B. Tauchunfall oder Herzinfarkt), welche ebenfalls einer medizinischen Behandlung bedürfen
- vor allem bei Jugendlichen: C2-Intox als mögliche Ursache bedenken!
Quellen #
- Deutscher Rat für Wiederbelebung – German Resuscitation Council e.V. (2021, 25. März). Reanimation 2021 – Leitlinien kompakt. grc-org.de. https://www.grc-org.de/downloads/GRC-Leitlinien-2021-kompakt_v02.pdf
- Truhlář, A., Deakin, C. D., Soar, J., Khalifa, G. E. A., Alfonzo, A., Bierens, J. J. L. M., Brattebø, G., Brugger, H., Dunning, J., Hunyadi-Antičević, S., Koster, R. W., Lockey, D. J., Lott, C., Paal, P., Perkins, G. D., Sandroni, C., Thies, K.-C., Zideman, D. A., Nolan, J. P., … Wetsch, W. A. (2015). European Resuscitation Council Guidelines for Resuscitation 2015. Resuscitation, 95, 148–201. https://doi.org/10.1016/j.resuscitation.2015.07.017
- Schramm, M. & Schröder, S. (2017). Der Ertrinkungsunfall: Begriffe, Maßnahmen, Reanimation. Rettungsdienst, 40(6), 564–569.
- Grafik: Deutscher Rat für Wiederbelebung – German Resuscitation Council e.V. (2021, 25. März). Reanimation 2021 – Leitlinien kompakt. grc-org.de. https://www.grc-org.de/downloads/GRC-Leitlinien-2021-kompakt_v02.pdf