DBRD-Algorithmus: Krampfanfall – Kind
NUN-Algorithmus: Status generalisierter tonisch-klonischer Anfall (SGTKA)
Der Fieberkrampf gehört zu einem der häufigsten Kindernotfälle im Rettungsdienst und ist bei seinem erstmaligen Auftreten eine Situation, in der akute Lebensgefahr für das Kind besteht.
Ein Fieberkrampf tritt meistens bei Kleinkindern auf, gehäuft zwischen dem 6. Lebensmonate und dem 6. Lebensjahr mit einer Häufung um das 2. Lebensjahr.
Es handelt sich dabei um einen altersabhängigen epileptischen Anfall, der in Verbindung mit Fieber auftritt ohne eine gleichzeitige Infektion des ZNS oder vorhergegangene afebrile Krämpfe. Bei einem Fieberkrampf handelt es sich nicht um eine Epilepsie.
Das Fieber setzt dabei die Krampfschwelle herab und erhöht das Risiko für einen Krampfanfall erheblich. Ob für die Auslösung eines Fieberkrampfes die absolute Höhe des Fiebers oder die Geschwindigkeit des Temperaturanstiegs entscheidend sind, ist bislang nicht sicher geklärt.
Ursache #
Die genaue Ursache für das Auftreten von Fieberkrämpfen in Verbindung mit einem Infekt ist noch nicht geklärt. Häufig zu beobachten ist allerdings Folgendes:
- schneller Temperaturanstieg oder -abfall
- virale Infektionen mit Fieber (häufig humanes Herpesvirus 6)
- Kinder sind in der Regel vollständig gesund
- häufig familiäre Prädisposition (nach Geschwisterkindern fragen!)
Symptome #
Fieberkrämpfe ereignen sich meist zu Beginn der fieberhaften Erkrankung, häufig im Fieberanstieg. Sie treten gehäuft in den Abendstunden zwischen 18:00 und 22:00 Uhr auf. 85% aller Fieberkrämpfe zeigen sich als generalisierte klonische oder generalisierte tonisch-klonische Anfälle.
- Fieber
- Bewusstseinsverlust
- klonische oder tonisch-klonische Krämpfe (nahezu immer generalisiert)
- Zyanose & Blässe
- Muskelverspannung oder komplett schlaffes Kind
- starrer Blick, Schmatzen
Man unterschiedet zwischen einem unkomplizierten und komplizierten Fieberkrampf, welche sich in folgenden Symptomen unterscheiden:
unkomplizierter Fieberkrampf | komplizierter Fieberkrampf |
---|---|
Dauer ≤ 5 Min | Dauer ≥ 5 Min |
sistiert spontan | sistiert i.d.R. nicht spontan |
einmaliges Auftreten innerhalb von 24h auf | wiederholtes Auftreten innerhalb von 24h |
postiktal nur kurz beeinträchtigt | postiktal treten neurologische Defizite auf (z.B. postiktale Paresen) |
zeigt sich tlws. als fokaler Anfall (z.B. nur auf eine Extremität begrenzt) |
Eine möglichst genaue Beschreibung über Ablauf und Dauer des Krampfes ist entscheidend für die Einordnung und weitere Therapie. Wichtige Informationen sind:
- auslösendes Ereignis?
- Krampfdauer?
- generalisierter oder fokaler Anfall?
- Infekt / Fieber bekannt?
- wenn ja: Warum hat das Kind Fieber?
- ähnliches Ereignis in der Vergangenheit / Familie?
- wenn ja: Bereits genutzte Notfallmedikamente vor Eintreffen des Rettungsdienstes?
Ausnahmesituation auch für Eltern!
Für Eltern ist vor allem das erste Auftreten eines Fieberkrampfs eine Ausnahmesituationen. Aufgeregte Eltern überschätzen wegen der Dramatik des Geschehens oft die Dauer des Anfalls erheblich, ihre Angabe zur Dauer des Krampfes sind daher häufig nicht geeignet und müssen differenziert betrachtet werden.
Abgrenzung zum epileptischen Anfall #
Eine Abgrenzung zwischen einem Fieberkrampf und einem epileptischen Anfall ist vor allem für die folgende Therapie wichtig und sollte wenn möglich immer mithilfe einer Fremdanamnese durchgeführt werden.
Die folgende Tabelle dient lediglich als Hilfestellung und muss immer differenziert gesehen werden, natürlich kann z.B. auch ein Patient mit Fieber einen epileptischen Anfall bekommen.
Fieberkrampf | epileptischer Anfall | |
---|---|---|
Fieber | Ja | Nein |
Unterkühlung | Ja | Nein |
Zungenbiss | Nein | Ja |
Einnässen | Nein | Ja |
Epilepsie bekannt? | Nein | Ja |
Therapie #
andauernder Krampfanfall #
- potenziell patientengefährdende Gegenstände entfernen
- wichtig: ein Beißschutz ist obsolet und kontraindiziert, da das Risiko von Zahnschädigungen und Aspiration besteht!
Medikamente (Antikonvulsiv) #
Fieberkrämpfe, welche länger als 5 Minuten anhalten, sistieren in der Regel nicht mehr spontan und sollten medikamentös unterbrochen werden.
Midazolam (i.n.) (0,2 mg/kgKG) | < 10 kgKG = 2,5 mg 10 – 20 kgKG = 5 mg > 20 kgKG = 10 mg |
Diazepam (supp.) (0,2 – 0,5 mg/kgKG) | < 15 kgKG = 5 mg > 15 kgKG = 10 mg |
Lorazepam (bukkal) (0,05 mg/kgKG) | < 25 kgKG = 1 mg > 25 kgKG = 2,5 mg |
Medikamente (Antipyretisch) #
Eine Fiebersenkung verhindert nicht das Auftreten von Fieberkrämpfen, kann aber das Rezidivrisiko während des gleichen Infektes möglicherweise senken und das Wohlbefinden des Kindes erhöhen.
Paracetamol (supp.) (15 mg/kgKG) | < 10 kgKG = 125 mg 10 – 20 kgKG = 250 mg > 20 kgKG = 500 mg |
Ibuprofen (supp.) (7,5 mg/kgKG) | 3 Monate – 2 Jahre = 60 mg > 2 Jahre = 125 mg |
abgeschlossener Krampfanfall #
Im Falle eines abgeschlossenen Fieberkrampfs liegt der Fokus auf der symptomorientierten Behandlung und Suche nach der Ursache, vorzugsweise mithilfe des ABCDE-Schemata.
- Fiebersenkung (Kleidung entfernen, Wadenwickel, Körperstamm kühlen) oder o.g. medikamentöse Therapie
- i.v.-Zugang prophylaktisch für erneuten Anfall anlegen
- Sicherung der Atemwege (stabile Seitenlage, evtl. Esmarch-Handgriff)
- hochdosierte O2-Gabe (Ziel: SpO2 ~ 94 – 98%)
- BZ-Messung (-> Ausschluss Hypoglykämie)
Krankenhaustransport #
Grundsätzlich sollte jedes Kind bei Auftreten eines erstmaligen Krampfanfalls in einer Kinderklinik vorgestellt werden. Bei bekannten Krampfanfällen muss hingegen nicht zwingend ein Transport stattfinden, sofern die Eltern mit der Situation vertraut sind. Sollte eine adäquate Betreuung allerdings nicht gegeben sein, ist auch hier der Transport in die Kinderklinik obligatorisch.
Differentialdiagnostik #
Bei Kindern müssen Affektkrämpfe immer von zerebralen Anfällen abgegrenzt werden. Affektkrämpfe treten durch äußere Einflüsse (z.B. Stress, Angst, Trotz) auf, in deren Folge sich Kleinkinder in einen Affektkrampf hineinsteigern. In einem solchen beschriebenen Fall ist keine spezielle Therapie notwendig.
- Schüttelfrost bei Fieberanstieg
- Fieberdelir (Halluzinationen, Träumen mit offenen Augen)
- febrile Synkope
- epileptischer Anfall & Gelegenheitskrampf (auch bei Fieber möglich)
- Meningitis
- Hypoglykämie
- Schädel-Hirn-Trauma (SHT)
- Exsikkose
Quellen #
- Bastigkeit, M. (2019). Medikamente in der Notfallmedizin. Edewecht, Deutschland: Stumpf + Kossendey.
- Deutscher Berufsverband Rettungsdienst e.V. (DBRD). (2023). Muster-Algorithmen 2023 zur Umsetzung des Pyramidenprozesses im Rahmen des NotSanG. https://www.dbrd.de/images/algorithmen/DBRGAlgo23_Web.pdf
- Eich, C. B., Guericke, H., Brackhahn, M. & Glowacka, M. (2018, 8. Juni). Maße & Dosierungen in der Kinderanästhesie, Kinderintensiv- und Kindernotfallmedizin. Kinder- und Jugendkrankenhaus „Auf der Bult“. https://www.auf-der-bult.de/fileadmin/media/docs/KIB-ARZ/downloads/An%C3%A4sthesie_Ma%C3%9Fe_und_Dosierungen_Kinderan%C3%A4sthesie.pdf
- Enke, K., Flemming, A., Hündorf, H.-P., Knacke, P. G., Lipp, R. & Rupp, P. (Hrsg.). (2015). Lehrbuch für präklinische Notfallmedizin: Patientenversorgung und spezielle Notfallmedizin (5. Aufl., Bd. 1). Edewecht, Niedersachsen: Stumpf + Kossendey. – 563 – 564
- Kurlemann, G., Muhle, H. & Gesellschaft für Neuropädiatrie (GNP). (2021, Mai). Fieberkrämpfe im Kindesalter – S1 Leitlinie. AWMF online. https://register.awmf.org/assets/guidelines/022-005l_S1_Fieberkraempfe-im-Kindesalter_2021-09.pdf
- LV ÄLRD Niedersachsen / Bremen. (2022). „NUN – Algorithmen“ zur Aus- und Fortbildung und als Grundlage zur Tätigkeit von Notfallsanitätern(innen) in Niedersachsen. https://lard-nds.de/download/nun-algorithmen-2022/
- Springer, W., Klingmann, A., Sperber, T. & Schubert-Bast, S. (2012). Fieberkrampf – Ein häufiger Kindernotfall. retten!, 1(05), 342–348. https://doi.org/10.1055/s-0032-1331415