Sepsis in der Präklinik

In den letzten Jahren hat die Sepsis (ugs. Blutvergiftung) als präklinisches Notfallbild zunehmend an Bedeutung gewonnen. Mit dem qSOFA-Score wurde Rettungsdiensten und Notärzten ein Tool an die Hand gegeben, dass die Diagnosestellung erleichtern und für das Krankheitsbild sensibilisieren soll.

Was genau bei der Sepsis passiert, welche Stadien unterteilt werden können und warum Infusion das wichtigste Medikament in der Präklinik ist, erfahrt ihr in diesem Text!

Pathophysiologie

Die S3-Leitlinie Sepsis definiert die Sepsis als “eine akut lebensbedrohliche Organdysfunktion, hervorgerufen durch eine inadäquate Wirtsantwort auf eine Infektion.” Um zu verstehen, wie es zu dieser lebensbedrohlichen Organdysfunktion kommt, muss man zunächst den Pathomechanismus, der sich hinter der Sepsis verbirgt, verstehen.

Betrachten wir einmal die Infektion mit Rhinoviren. Diese führt zu einem Schnupfen, charakterisiert durch eine laufende und zugeschwollene Nase. Die Schwellung der Nasenschleimhäute entsteht hierbei durch eine Vasodilatation (Gefäßerweiterung) der Blutgefäße in der Nase. Der Körper tut dies, um mehr Blut – und damit auch Immunzellen – zum infizierten Gewebe zu transportieren. Diese Immunzellen erhöhen nun die Gefäßpermeabilität (Durchlässigkeit), sodass mehr Flüssigkeit aus dem Intra- in den Extravasalraum übertreten kann – die Nase beginnt zu “laufen”. Über diesen Weg versucht der Körper den Erreger, in diesem Falle die Rhinoviren, “auszuspülen”. Für lokal begrenzte Erreger funktioniert dieses Konzept sehr gut und befreit den Körper effektiv von “Eindringlingen”.

Ein Problem entsteht allerdings, wenn der Erreger aus einem von anderen Körperbereichen gut abgegrenzten Gewebe ins Blut übertritt und sich im gesamten Organismus ausbreiten kann. Und genau das passiert bei einer Sepsis. Durch diese Ausbreitung findet die normalerweise lokal ablaufende Immunreaktion überall im Körper statt, sodass die Gefäße im gesamten Organismus erweitert und durchlässiger werden. Flüssigkeit kann nun ungehindert überall austreten und das Intravasalvolumen nimmt ab. Diese Umverteilung von Volumen ist charakteristisch für den distributiven (von lat. distribuere: verteilen) Schock. Die natürliche Reaktion des Körpers auf diese Abnahme des Intravasalvolumens ist die Aktivierung des Sympathikus. Die Herzfrequenz steigt und über α1-Rezeptoren werden periphere Widerstandsgefäße enggestellt. Dieser Kompensationsmechanismus hilft allerdings nur für kurze Zeit, da α1-Rezeptoren nicht an den kleinsten Gefäßen, den sog. Endstrombahnen, sitzen und damit hier keine Vasokonstriktion herbeigeführt werden kann. Im weiteren Verlauf verliert der Körper im Bereich der Endstrombahnen immer mehr Flüssigkeit in den Extravasalraum (cappilary leak) und der Blutdruck fällt.

qSOFA-Score

Innerklinisch wird das Ausmaß eines Organversagens durch den SOFA-Score ermittelt. Bei der Beurteilung nach diesem Score werden allerdings auch Laborparameter berücksichtigt. Für die Präklinik wurde also eine modifizierte Version, der quick-SOFA-Score, entwickelt. Er berücksichtigt die Atemfrequenz, den Blutdruck und den neurologischen Status in Form des GCS.

  • Blutdruck < 100mmHg syst.
  • GCS < 15
  • Atemfrequenz > 22/min

Die Atemfrequenz ist einer der ersten Indikatoren für eine Sepsis. Die Hypoxie, die im Bereich der Endstrombahnen herrscht, führt zu einem Anstieg der Atemfrequenz um eine bessere Versorgung zu erreichen. Zudem ist durch das verringerte Intravasalvolumen die Versorgung der Zellen mit Sauerstoff erschwert und die anaerobe Energiegewinnung wird vermehrt aktiviert. Hierbei fällt als Abfallprodukt Laktat (Milchsäure) an, was zu einer Azidose (Übersäuerung) führt. Der natürliche Kompensationsmechanismus für eine metabolische (stoffwechselbedingte) Azidose ist die Steigerung der Atemfreuenz. Hierdurch wird vermehrt CO2 abgeatmet und die Übersäuerung durch das Laktat teilweise ausgeglichen.

Der Blutdruck fällt im Verlauf der Sepsis immer weiter. Die Gründe hierfür wurden bereits im Bereich “Pathophysiologie” erläutert. Ein systolischer Blutdruck unter 100mmHg sollte also als Warnsignal für eine Sepsis wahrgenommen werden.

Auch der neurologische Status sollte berücksichtigt werden, oft sind Patienten mit einer beginnenden oder fortgeschrittenen Sepsis verwirrt oder vigilanzgemindert. Wichtig hierbei ist immer die Berücksichtigung des Normalzustandes, hierbei sind Angehörige gefragt, um beispielsweise bei Desorientiertheit zu beurteilen.

Stadien

Eine Einteilung nach Stadien ist zur präklinischen Therapie zwar nicht der relevanteste Faktor, allerdings sollte eine Unterscheidung zwischen einer beginnenden Sepsis und einem imposanten septischen Schock auch durch das Rettungsdienstpersonal erfolgen können. Nach der S3-Leitlinie wird zwischen zwei Stadien unterschieden. Bei der “normalen” Sepsis ist durch eine adäquate Volumentherapie der Blutdruck zu stabilisieren. Im Gegensatz hierzu ist im septischen Schock die Gabe von Vaspopressoren nötig, um dieses Ziel zu erreichen.

Antibiotika

Die frühzeitige Gabe von Antibiotika führt nachweislich zur Senkung der Mortalität bei Patienten mit Sepsis. In vielen Rettungsdienstbereichen wird deswegen ein Sepsisset mit einem Breitspektrumantibiotikum und Blutkulturen vorgehalten, um im Falle eines septischen Schocks schon präklinisch mit der Antibiotikatherapie zu beginnen. Die Abnahme der Blutkulturen ist hierbei essenziell, um klinisch auf ein erregerspezifisches Antibiotikum umstellen zu können.

Diagnosestellung und Therapie durch den Rettungsdienst

Bei jedem Patienten mit einem Infekt (Pneumonie, Harnwegsinfekt, etc.) und einem positiven qSOFA-Score sollte der Verdacht einer Sepsis geäußert werden. Häufige Foci (Ausgangsorte) einer Sepsis sind stark vaskularisierte Organe wie die Lunge (Pneumonie), die Nieren (Pyelonephritis) und der Bauchraum (Peritonitis). Wird die Sepsis als Verdachtsdiagnose gestellt, so sollte eine Volumentherapie mit kristalloiden Infusionslösungen erfolgen, um ein gesteigertes Herzminutenvolumen herbeizuführen und so den Blutdruck zu stabilisieren und die Mikrozirkulation wiederherzustellen.


Quellen

Inhaltsverzeichnis

Sven J.

Sven J.

Notfallsanitäter & Medizinstudent (Universität Hamburg)

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