Sepsis erkennen – qSOFA vs. NEWS2

Trotz steigender Aufklärungskampagnen ist die Sepsis mittlerweile die dritthäufigste Todesursache in Deutschland. Für das Jahr 2022 wird davon ausgegangen, dass mindestens 65.000 Menschen in Deutschland an einer Sepsis gestorben sind. Das sind doppelt so viele Todesfällen wie durch Herzinfarkt und Schlaganfall zusammen. Und auch weiterhin ist das Hauptproblem, dass die Sepsis zu spät erkannt und behandelt wird.

Was können wir also bereits in der Präklinik tun, um Patienten mit Sepsis zu erkennen und welche Hilfsmittel helfen uns dabei?

Sepsis präklinisch erkennen – NEWS2 incoming!

Häufig wird der Patient mit Sepsis durch die Leitstelle als “schlechter AZ” oder “AZ-Verschlechterung” alarmiert. Das Meldebild kann sich also maßgeblich vom vorgefundenen Patientenzustand unterscheiden, weshalb eine fokussierte Untersuchung umso wichtiger ist.

Zum Erkennen der Sepsis in der Präklinik hat sich neben dem ABCDE-Schema und dem mittlerweile weit verbreiteten qSOFA-Score als neues Screening-Tool auch der NEWS2 (National Early Warning Score) immer weiter etabliert.

Dieser bietet neuen Studienergebnissen zufolge eine deutlich höhere Sensitivität zur Identifikation einer Sepsis im Vergleich zum qSOFA-Score. Die Sensitivität des NEWS2 lag dabei bei 72,2%, während die des qSOFA-Scores nur bei 24% lag. Leitlinien und Studien empfehlen daher zunehmend die Verwendung des NEWS2 als Tool in der präklinischen Notfallmedizin.

NEWS2

Der NEWS2 (National Early Warning Score) wurde 2012 in Großbritannien vom Royal College of Physicians entwickelt und 2017 in seiner zweiten Version im Hinblick auf das Identifizieren einer Sepsis und anderen Erkrankungen angepasst. Er hat in Großbritannien andere Scores abgelöst und für eine landesweite Vereinheitlichung gesorgt. Mittlerweile wird er zunehmend auch außerhalb des Vereinigten Königreiches eingesetzt.

Das Ergebnis aus allen Punkten bildet zusammen den Score, durch welchen der Patient in eine der drei Stufen niedrig, mittel und hoch eingeteilt wird. Ausnahme bildet die Einteilung in niedrig-mittel, welche ausgelöst wird, wenn der Patient in einem beliebigen Parameter eine Punktzahl von 3 erreicht.

GesamtpunktzahlKlinisches Risiko
0 – 4Niedrig
“Roter Score”
3 Punkte in einem individuellen Parameter
Niedrig – Mittel
5 – 7Mittel
7 oder mehrHoch

Je nach Einteilung des Patienten in eine der Risikokategorie sollte sich vor Ort über die weitere Behandlung in Hinblick auf folgende Maßnahmen abgestimmt werden:

  • die Geschwindigkeit der Behandlung / des Transportes
  • Dringlichkeit der medizinischen Intervention (bspw. medikamentös)
  • Stay-and-Play oder Load-and-Go
  • Erweiterung des Monitoring

Bei einem Score von 4 in Kombination mit einer Infektion ist die Sepsis die wahrscheinlichste Diagnose. Relevant ist hier dennoch eine fokussierte Untersuchung, vorzugsweise nach dem ABCDE-Schema.

qSOFA-Score

Der qSOFA-Score (quick sepsis-related Organ Failure Assessment) ist eine Modifizierung des klinischen SOFA-Scores. Da dieser aber laborchemische Befunde voraussetzt, welche im Rettungsdienst nicht erhoben werden können, entstand der qSOFA-Score.

Hierbei ist zu beachten, dass der qSOFA-Score eine hohe Sensitivität zur Erkennung kritisch kranker Patienten darstellt, jedoch nur eine geringe Spezifität für das Erkennen einer Sepsis. Aus diesem Grund sollte immer zusätzlich eine tiefgreifende Anamnese und eine körperliche Untersuchung mittels ABCDE-Schema erfolgen.

Bei zwei oder mehr erfüllten Kriterien des qSOFA-Score in Kombination mit einer Infektion ist die Sepsis dennoch die wahrscheinlichste Diagnosen.

ABCDE-Schema & Anamnese

Das ABCDE-Schema ist in der heutigen präklinischen Notfallmedizin bewährt und sollte auch bei einer Sepsis angewandt werden. Bei der Untersuchung sollte spezifisch auf folgende Befunde geachtet werden, welche einen Hinweis auf eine Sepsis geben können:

Ablasse / trockene Schleimhäute
BTachypnoe, Luftnot, Zyanose, Auskultationsbefunden
CHypotonie, Tachykardie, verlängerte ReKap
DVerwirrtheit, Bewusstseinstrübung, Halluzinationen, Berührungsempfindlichkeit, Meningismus
EFieber, Hypothermie, Mottling, Petechien, Urinveränderungen (Katheter beachten!)

Im Rahmen der Anamnese können Hinweise auf eine zuvor vorhandene Infektion, zurückliegende operative Eingriffe oder Verletzungen sowie eine akute Verschlechterung in den letzten 28 Stunden einen Hinweis auf eine Sepsis erhärten.

Think Sepsis – Say Sepsis!

Der Verdacht einer Sepsis sollte, auch bei Vorliegen von anderen Grunderkrankungen die zu einem Transport ins Krankenhaus geführt haben, immer deutlich gegenüber dem aufnehmenden Personal kommuniziert werden und auch auf dem Protokoll deutlich vermerkt werden.


Quellen

Inhaltsverzeichnis

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Luca H.

Notfallsanitäter, PAL, OrgL & Brandmeister (Berufsfeuerwehr Oldenburg)

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