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Sonder- und Wegerechte (Recht – Teil 4)

In Teil 4 unserer Serie zum Thema Recht geht es nun um Sonder- und Wegerechte und damit um alles, was bei unseren täglichen Einsatzfahrten wichtig ist.

Hierfür beschäftigen wir uns anders als die letzten Male nicht mit Strafgesetzen, sondern mit der Straßenverkehrsordnung (StVO) und ihren Besonderheiten.

Grundregeln

Jeder hat es in seiner Fahrschule bestimmt mehrfach gehört: “Ständige Vorsicht und gegenseitige Rücksicht sind das Wichtigste bei der Teilnahme am Straßenverkehr”.

Und dies gilt natürlich auch für Rettungskräfte auf dem Weg zum Einsatz. Bevor wir uns also mit den §§ 35, 38 StVO beschäftigen, werfen wir einen Blick auf den ersten Paragraphen der Straßenverkehrsordnung.

Grundregeln – § 1 StVO

(1) Die Teilnahme am Straßenverkehr erfordert ständige Vorsicht und gegenseitige Rücksicht.

(2) Wer am Verkehr teilnimmt hat sich so zu verhalten, dass kein Anderer geschädigt, gefährdet oder mehr, als nach den Umständen unvermeidbar, behindert oder belästigt wird.

Durch den Einsatz von Sonder- und Wegerechten, werden Rettungskräften besondere Rechte im Straßenverkehr erteilt. Aber nichtsdestotrotz müssen auch unter diesen besonderen Voraussetzungen die Grundregeln des Straßenverkehrs beachtet werden.

Selbst wenn wir also mit hoher Geschwindigkeit auf die rote Ampeln in der Innenstadt zufahren, dürfen wir niemals unser eigenes Können überschreiten und müssen stets mit Fehlern anderer Verkehrsteilnehmer rechnen. Denn nur wenn wir besonnen handeln, kommen wir sicher an der Einsatzstelle an und können unseren Patienten adäquat helfen!

Sonderrechte

Die Sonderrechte sind in § 35 StVO geregelt. Durch diesen Paragraphen werden die Vorschriften der Straßenverkehrsordnung für bestimmte Berufsgruppen aufgehoben. Die genannten Berufsgruppen finden sich aufgeschlüsselt in den Absätzen des Paragraphen.

Dabei sind Sonderrechte für die Berechtigten aufgrund ihrer hoheitlichen Aufgaben (u.a. Polizei, Feuerwehr, Katastrophenschutz) grundsätzlich personengebunden. Sie dürfen Sonderrechte also auch als Fußgänger oder in Privatfahrzeugen nutzen, wenn die Voraussetzungen erfüllt sind.

Dies gilt allerdings nicht für den Rettungsdienst (und weitere Gruppen), hier sind die Sonderrechte fahrzeuggebunden.

Sonderrechte – § 35 StVO

(1) Von den Vorschriften dieser Verordnung sind die Bundeswehr, die Bundespolizei, die Feuerwehr, der Katastrophenschutz, die Polizei und der Zolldienst befreit, soweit das zur Erfüllung hoheitlicher Aufgaben dringend geboten ist.

(5a) Fahrzeuge des Rettungsdienstes sind von den Vorschriften dieser Verordnung befreit, wenn höchste Eile geboten ist, um Menschenleben zu retten oder schwere gesundheitliche Schäden abzuwenden.

Die für uns relevanten Aufhebungen von Vorschriften der Straßenverkehrsordnung erlauben Einsatzkräften hierdurch unter anderem:

  • Missachtung von Rotlicht
  • Überschreiten von Tempolimits
  • Parken im Halteverbot
  • Verstoß gegen Einbahnstraßen-Regelungen
  • Fahren entgegen der Fahrtrichtung
  • Missachten von Durchfahrverboten

Zudem unterscheidet sich je nach Berufsgruppe, welche Teile der Straßenverkehrsordnung aufgehoben werden. So darf die Post zwar zum Leeren von Briefkasten in zweiter Reihe parken, nicht aber über Rot fahren.

Sonderrechte führen jedoch nicht dazu, dass andere Verkehrsteilnehmer freie Bahn schaffen müssen. Diese Pflicht entsteht nur, wenn das Wegerecht gemäß § 38 StVO durch blaues Blinklicht in Kombination mit Einsatzhorn in Anspruch genommen wird.

Voraussetzungen zur Nutzung

Natürlich dürfen Sonderrechte nicht einfach willkürlich genutzt werden. Es müssen bestimmte Voraussetzungen erfüllt sein, damit die Sonderrechte eingesetzt werden dürfen.

Für die Feuerwehr und die Polizei gelten hierbei folgende in Absatz 1 genannten Voraussetzungen:

  • Erfüllung hoheitlicher Aufgaben
    Hierunter zählen nur Fahrten, die im Zuge der gesetzlichen oder rechtlichen bestimmten Aufgaben der jeweiligen Berufsgruppe erfolgen.
  • dringend geboten
    Dringend geboten ist eine Fahrt immer dann, wenn die Aufgabe nicht ohne Sonderrechte durchgeführt werden kann beziehungsweise im spezifischen Fall von Feuerwehr und Polizei eine deutliche Verzögerung bedeuten würde.

Anders als oben genannt liegen für den Rettungsdienst andere Voraussetzungen vor, welche in Absatz 5a genannt werden:

  • höchste Eile ist geboten
    Höchste Eile ist immer dann geboten, wenn in der konkreten Situation die begründete Annahme besteht, dass es ohne diese Eile zu einer Schädigung oder einer Vergrößerung des Schadens kommen wird.
  • um Menschenleben zu retten oder schwere gesundheitliche Schäden abzuwenden

Beispiele

Der Rettungswagen wird zu einer Anaphylaxie alarmiert. Da davon auszugehen ist, dass sich ohne höchste Eile (hier z.B. Überfahren roter Ampeln) der Patientenzustand weiter verschlechtert und in der Situation eine akute Lebensgefahr für den Patienten vorliegt, gelten für diesen Einsatz Sonderrecht.

Auf der Rückfahrt vom Krankenhaus möchte die Kollegen schnell zum Mittagessen auf die Wache. Da aber kein Einsatz vorliegt und somit auch keine höchste Eile geboten ist, gelten für diese Fahrt keine Sonderrechte.

Aber auch unter Einsatz von Sonderrechten dürfen die betroffenen Personengruppen nicht einfach “wild drauflosfahren” und alle Regeln der StVO missachten. Alle Tätigkeiten unter Sonderrechten dürfen nur unter gebührender Berücksichtigung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung ausgeübt werden.

Sonderrechte – § 35 StGB

(8) Die Sonderrechte dürfen nur unter gebührender Berücksichtigung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung ausgeübt werden

“Wegerechte” oder korrekt: Blaues Blinklicht und gelbes Blinklicht

Umgangssprachlich ist nahezu immer die Rede von den sogenannten “Wegerechten” und somit ist bereits treffend beschreiben, was die Konsequenz der Vorschrift für die Verkehrsteilnehmer ist. Damit wir es aber einmal korrekt benannt haben: Richtig heißt der § 38 StVO tatsächlich “blaues Blinklicht und gelbes Blinklicht”.

Blaues Blinklicht und Gelbes Blinklicht – § 38 StVO

(1) Blaues Blinklicht zusammen mit dem Einsatzhorn darf nur verwendet werden, wenn höchste Eile geboten ist, um Menschenleben zu retten oder schwere gesundheitliche Schäden abzuwenden, eine Gefahr für die öffentliche Sicherheit oder Ordnung abzuwenden, flüchtige Personen zu verfolgen oder bedeutende Sachwerte zu erhalten.

Es ordnet an:

„Alle übrigen Verkehrsteilnehmer haben sofort freie Bahn zu schaffen“.

Anders als die Sonderrechte, welche in der Regel personengebunden sind (Ausnahme u.a. Rettungsdienst), handelt es sich bei Wegerechten immer im fahrzeuggebundene Rechte. Einfach zusammengefasst bedeutet der § 38 Abs. 1 StVO:

Alle anderen Verkehrsteilnehmer haben Einsatzfahrzeugen, die mit Blaulicht und Einsatzhorn unterwegs sind, unverzüglich Platz zu machen!”

Wichtig: Um Wegerechte anzuzeigen bedarf es blauem Blinklicht in Kombination mit dem Einsatzhorn. Blaulicht alleine ist also nicht ausreichend!

Den alleinigen Einsatz von blauem Blinklicht regelt dann der folgende Absatz. Blaulicht alleine darf u.a. zur Warnung vor Unfall- und Einsatzstellen oder bei Fahrten in geschlossenen Verbänden eingesetzt werden.

Blaues Blinklicht und Gelbes Blinklicht – § 38 StVO

(2) Blaues Blinklicht allein darf nur von den damit ausgerüsteten Fahrzeugen und nur zur Warnung an Unfall- oder sonstigen Einsatzstellen, bei Einsatzfahrten oder bei der Begleitung von Fahrzeugen oder von geschlossenen Verbänden verwendet werden.

Voraussetzung zur Nutzung

Der Einsatz von Blaulicht und Einsatzhorn zur Anordnung “sofort freie Bahn zu schaffen” ist an folgende Voraussetzungen geknüpft:

  • höchste Eile ist geboten

Zusätzlich muss eine der folgenden vier Voraussetzungen vorliegen um Wegerechte nutzen zu dürfen:

  • um Menschenleben zu retten oder schwere gesundheitliche Schäden abzuwenden
  • eine Gefahr für die öffentliche Sicherheit oder Ordnung abzuwenden
  • flüchtige Personen zu verfolgen
  • bedeutende Sachwerte zu erhalten

Ist eine Kombination aus höchster Eile und mindestens einer der weiteren Voraussetzungen erfüllt, darf Blaulicht in Kombination mit dem Einsatzhorn eingesetzt werden um den anderen Verkehrsteilnehmern die eigenen Wegerechte anzuzeigen und sie aufzufordern unverzüglich freie Bahn zu schaffen.

Anordnung von Sonder- und Wegerechten

Da wir als Personal auf dem Rettungswagen die Notrufe nicht selber annehmen, ist es für uns nicht einschätzbar, ob die Voraussetzungen zur Nutzung von Sonder- und Wegerechten für den Einsatz gegeben sind.

Aus diesem Grund legt in der Regel die Leitstelle fest, ob Sonder- und Wegerechte für den Einsatz freigegeben sind. Dies Information wird dann mit der Alarmierung an die Rettungskräfte weitergeben.

Anders sieht es nach der Aufnahme eines Patienten und dem folgenden Weg zum Krankenhaus aus. Zu diesem Zeitpunkt legt der zuständige Transportführer (in der Regel der NotSan oder der NA) fest, ob die Voraussetzungen zum Einsatz von Sonder- und Wegerechten gegeben sind.

Nächstes Mal…

… geht es um das Thema Schweigepflicht. Wann gilt diese, was umfasst sie und wann dürfen wir diese brechen. In Teil 5 unserer Serie zum Thema Recht klären wir dazu spannende Fragen und bringen Licht ins Dunkle (ab Mittwoch 28.09.2022).


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Inhaltsverzeichnis

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Luca H.

Notfallsanitäter, PAL, OrgL & Brandmeister (Berufsfeuerwehr Oldenburg)

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