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Garantenstellung (Recht – Teil 3)

In Teil 3 unserer Serie zum Thema Recht geht es nun um die Garantenstellung, sowie in diesem Zusammenhang um das Begehen einer Tat durch aktives Tun oder Unterlassen.

Wir beschäftigen uns zu aller erst mit dem Thema der Unterlassungsdelikte, welche für das Verständnis der Garantenstellung einen wichtigen Teil darstellen. Anschließend gehen wir auf die sogenannte “Garantenstellung” ein.

Unterlassungsdelikte

Bei Straftaten kommt es in der Regel zu einer aktiven Handlung des Täters, welche auch als “aktives Tun” bezeichnet wird. Eine Straftat kann aber auch durch ein Unterlassen erfolgen. Also immer dann, wenn eine Handlung durch “Nichtstun” vollbracht wird. Statt einzugreifen unternimmt der Täter nichts und lässt den Dingen ihren Lauf. Hierbei wird unterschieden in echte und unechte Unterlassungsdelikte.

echte Unterlassungsdelikte

Hierbei handelt es sich um Straftaten, bei denen das Unterlassen explizit verboten ist und ein Gebot zum Handeln besteht. Der Bürger wird dazu aufgefordert, in einer vom Gesetz beschriebenen Situation, eine bestimmte Handlung durchzuführen. Tut er dies nicht, begeht er eine Straftat durch Unterlassen.

Klassisches Beispiel hierfür sind neben der Unterlassen Hilfeleistung (§ 323c StGB) auch das Nichtanzeigen geplanter Straftaten (§ 138 StGB).

Unterlassene Hilfeleistung – § 323c StGB

(1) Wer bei Unglücksfällen oder gemeiner Gefahr oder Not nicht Hilfe leistet, obwohl dies erforderlich und ihm den Umständen nach zuzumuten, insbesondere ohne erhebliche eigene Gefahr und ohne Verletzung anderer wichtiger Pflichten möglich ist, wird mit Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr oder mit Geldstrafe bestraft.

Beispiel

A fährt auf der Landstraße, als es unmittelbar vor ihm zu einem Verkehrsunfall kommt. Statt anzuhalten, einen Notruf abzusetzen und Hilfe zu leisten, fährt A weiter und unternimmt nichts.

unechte Unterlassungsdelikte

Unter einem unechten Unterlassungsdelikt versteht man hingegen Straftaten, bei denen der Täter nichts tut, obwohl eine besondere Rechtspflicht zum Handeln besteht. Diese besondere Rechtspflicht bezeichnen wir als Garantenstellung.

Es kommt demnach zu einer Straftat (z.B. Körperverletzung oder Totschlag), weil der Garant eine Handlung unterlassen hat und seinen zu schützende Person beeinträchtigt wurde. Das Unterlassen wird anschließend dem “aktiven Tun” gleichgestellt und ist demnach strafbar.

Da die Gesetzesnormen nur bei einem echten Unterlassungsdelikt das Unterlassen unter Strafe stellen, kommt der § 13 StGB zur Anwendung. Wird der § 13 StGB angewandt, ergänzt man die Bezeichnung der Tat um den Zusatz “durch Unterlassen”.

Begehen durch Unterlassen – § 13 StGB

(1) Wer es unterläßt, einen Erfolg abzuwenden, der zum Tatbestand eines Strafgesetzes gehört, ist nach diesem Gesetz nur dann strafbar, wenn er rechtlich dafür einzustehen hat, daß der Erfolg nicht eintritt, und wenn das Unterlassen der Verwirklichung des gesetzlichen Tatbestandes durch ein Tun entspricht.

Garantenstellung

Die Garantenstellung ist also eine besondere Rechtspflicht im Strafrecht, bei welcher der Garant dafür einzustehen hat, dass ein bestimmter tatbestandlicher Erfolg nicht eintritt. Diese Garantenstellung kann sich aus vier verschiedenen Konstellationen ergeben:

  1. aus Gesetz
  2. aus Vertrag bzw. tatsächliche Gewährübernahme
  3. aus vorangegangenem gefährdenden Tun (Ingerenz)
  4. aus engen Lebensbeziehungen

aus Gesetz

Eine Garantenstellung kann aufgrund einer speziellen gesetzlichen Verpflichtung bestehen. Hierzu zählen zum Beispiel Verpflichtungen von Ehepartnern (vgl. § 1353 I 2 BGB) oder von Eltern gegenüber ihrer Kinder (vgl. § 1626 II BGB).

Eheliche Lebensgemeinschaft – § 1353 I 2 BGB

(1) 1Die Ehe wird von zwei Personen verschiedenen oder gleichen Geschlechts auf Lebenszeit geschlossen. 2Die Ehegatten sind einander zur ehelichen Lebensgemeinschaft verpflichtet; sie tragen füreinander Verantwortung.

Beispiel

Während der Ehegatte A mit seiner Ehepartnerin B am Fluss spazieren geht, stürzt B in den Fluss und droht zu ertrinken. Obwohl A schwimmen kann, leistet er keine Hilfe und B ertrinkt.

aus Vertrag bzw. tatsächliche Gewährübernahme

Um eine Garantenstellung aus einem Vertrag zu schaffen, muss mit dem Abschluss des Vertrags eine tatsächliche Verpflichtung bestehen, die eine besondere Vertrauenslage schafft und zusätzlich eine Schutzfunktion beinhaltet.

Das hört sich komplizierter an, als es am Ende ist. Hier zwei Beispiele, die Licht ins Dunkel bringen sollten:

Beispiel 1

Der Rettungsdienst wird zu einem Einsatz alarmiert. Hierbei geht der Träger des Rettungsdienstes bei Alarmierung durch die Leitstelle einen Behandlungsvertrag mit dem Patienten ein. Die beiden eingesetzten Notfallsanitäter werden als Verrichtungsgehilfen des Rettungsdienstträgers gem. § 831 BGB tätig. Es entsteht eine Garantenstellung aus Vertrag für die eingesetzten Notfallsanitäter gegenüber dem Patienten.

vgl.: Der Behandlungsvertrag im Rettungsdienst

Beispiel 2

Die Eltern bringen ihr Kind in den Kindergarten, welcher sich dazu verpflichtet, auf das Kind aufzupassen. Folglich haben die Mitarbeiter des Kindergartens eine Garantenstellung gegenüber dem Kind.

aus vorangegangenem gefährdenden Tun (Ingerenz)

Eine Garantenstellung kann sich zudem aus einem vorangegangenen gefährdenden Tun, also einem gefahrverursachenden Vorverhalten (Ingerenz), ergeben.

Eine Person hat hierbei rechtswidrig durch ein vorangegangenes Verhalten eine konkrete Gefahr für einen Andere geschaffen. Kommt es nun zum Eintritt eines Schadens, muss die Person welche die Gefahr verursacht hat zwingend Rettungsmaßnahmen ergreifen, da eine Garantenstellung besteht.

Beispiel

Autofahrer A fährt über eine rote Ampel und fährt dabei den Radfahrer R an, dieser wird schwer verletzt. Durch sein rechtswidriges Vorverhalten hat A eine konkrete Gefahr verursacht und R verletzt. Es kommt zu einer Garantenstellung aus Ingerenz.

Hinweis: Wenn im oben genannten Beispiel A die erforderliche Sorgfalt hat walten lassen und bei einer grünen Ampel über die Straße fährt, der Radfahrer aber bei Rot fährt, hat A kein rechtswidriges Verhalten begangen und dementsprechend keine Garantenstellung gegenüber dem Radfahrer.

aus engen Lebensbeziehungen

Eine Garantenstellung aus engen Lebensbeziehungen entsteht immer dann, wenn ein enges Gemeinschaftsverhältnis besteht. So kann es zum Beispiel zu Garantenstellungen in folgenden Konstellationen kommen:

  • unter Geschwistern
  • zwischen Verwandten
  • in engen Partnerschaften (z.B. Lebensgemeinschaften, auch ohne Ehe)

Beispiel

Die beiden Brüder A und B sind gemeinsam unterwegs, als B von einem wilden Tier angegriffen und verwundet wird. A hat eine Garantenstellung gegenüber seines Bruder B und muss ihm entsprechend helfen.

Eine Garantenstellung kann aber auch bei kurzfristigen Lebensbeziehungen entstehen. Hierzu zählen zum Beispiel gemeinsame Klettergruppen oder Teilnehmer einer gemeinsamen Expedition. Obwohl diese Personen sich vielleicht erst wenigen Stunden kennen, sind sie bei Beginn ihrer Aktivität eine bewusste enge Lebensbeziehung, wenn auch nur für eine möglicherweise kurze Zeit, eingegangen.

Nicht ausreichend sind hingegen sogenannte Zufallsgemeinschaften, wie etwa der Trinkkumpane den man gerade in der Kneipe kennengelernt hat. Hier kann keine enge Lebensgemeinschaft angenommen werden.

Nächstes Mal…

… geht es um Sonder- und Wegerechte und somit um alles Wichtige, was uns auf Einsatzfahrten begegnen kann. In Teil 4 unserer Serie zum Thema Recht klären wir dazu spannende Fragen und bringen Licht ins Dunkle (ab Mittwoch 21.09.2022).


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Inhaltsverzeichnis

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Luca H.

Notfallsanitäter, PAL, OrgL & Brandmeister (Berufsfeuerwehr Oldenburg)

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