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Crush-Syndrom

Das Crush-Syndrom (Kompressionssyndrom) beschreibt eine Vielzahl von lebensbedrohlichen Symptomen, die aus einer plötzlichen systemischen Freisetzung von Giftstoffen einer Quetschverletzung resultieren. 

Oftmals wird das Crush-Syndrom allein in Verbindung mit großen Katastrophen wie etwa Erdbeben oder Bombenanschlägen gebracht, in denen viele Menschen unter Trümmern verschüttet werden. In der Tat leiden z.B. etwa 40% der Überlebenden eines mehrstöckigen Gebäudekollaps unter einem solchen Syndrom. Jedoch können auch die Einklemmung im Auto bei einem schweren Verkehrsunfall oder die Anlage eines Tourniquets über einen längeren Zeitraum zu einem ausgeprägten Muskelzelluntergang führen.

Vor der Rettung

Ein Beispielfall: Die Extremität eures Patienten ist eingeklemmt und die Rettung wird durch aufwändige technische Maßnahmen verzögert. Der venöse Rückstrom aus der Extremität wird durch das Objekt verhindert.

Durch die Quetschung kommt es zu einer mechanischen Verletzung des Muskelzell-Sarkolemmas und daraus resultierend zur Rhabdomyolyse, also der Auflösung verschiedener Muskelbestandteile. Hierbei freigesetztes Natrium führt nun zu einem Wassereinstrom in den Muskel und gleichzeitiger intravasaler Hypotonie. Wie auch beim sog. Kompartmentsyndrom folgt aus dem stetig steigenden Gewebedruck die Hypoperfusion sowie Gewebehypoxie. Der Körper greift nun auf den anaeroben Stoffwechsel zurück und es bildet sich Laktat, welches die Extremität übersäuern lässt. 

Befreiung des Patienten

Der Patient wird nach circa 3 Stunden befreit und das abdrückende Objekt somit entfernt, der venöse Rückstrom wird schlagartig eröffnet. Es kommt zur systemischen Verteilung der aus dem Zelluntergang entstandenen Toxine:

  1. Kalium bewirkt am Herzen folgenschwere Herzrhythmusstörungen und stört die Elektolythomöostase.
  2. Histamin führt zur Bronchokonstriktion und erhöhter Gefäßpermeabilität.
  3. Stickstoffmonoxid verschlimmert zusammen mit Histamin die Hypotonie durch Vasodilatation.
  4. Thromboplastin löst eine disseminierte intravasale Koagulopathie (DIC), also einen zuerst gesteigerten Verbrauch und später hieraus resultierenden Mangel an plasmatischen Gerinnungsfaktoren, aus.
  5. Myoglobin sammelt sich in den Nephronen an und führt schließlich zum akuten Nierenversagen. 

Therapie

Um zu verhindern, dass der Patient an der Überschwemmung von Toxinen sofort stirbt, sollten bereits vor der Befreiung einige Maßnahmen durchgeführt sein.
Die wohl wichtigste Maßnahme ist die frühzeitige und ausreichende Analgesie. Hierfür werden entweder die Gabe von S-Ketamin (0,25-0,5 mg/kgKG) und Midazolam (0,2 mg/kgKG) über den MAD für den Rettungsdienst oder Fentanyl über MAD für Notärzte empfohlen. Durch die nasale Applikation soll jegliche Verzögerung bei der Analgesie (z.B. durch das Suchen eines i.v.-Zugangs) verhindert werden.

Als Nächstes sollten mindestens zwei großlumige Zugänge gelegt werden. Ist es nicht möglich einen i.v.-Zugang zu legen, sollte schnell die an die Alternative eines i.o.-Zugangs gedacht werden. 

Wenn möglich sollte mindestens ein Tourniquet proximal der Verletzung angelegt werden, bevor der Patient befreit wird, um den Toxineinstrom so lange zu verzögern, bis der Patient vollständig versorgt ist. Hierbei ist streng darauf zu achten, den Zeitpunkt der Tourniquet-Anlage immer genau zu dokumentieren! Ggf. wird sogar eine Amputation der betroffenen Extremität empfohlen, falls der Patient sich hämodynamisch verschlechtert und die Rettung sich weiterhin verzögert. 

Die Richtdosis für die präklinische Flüssigkeitszufuhr liegt bei etwa 1-2 Litern pro Stunde um vor allem dem Nierenversagen entgegen zu wirken.

Ist der Patient befreit, sollte insbesondere im Bereich des Monitorings das EKG engmaschig überprüft werden, hier deuten besonders verbreiterte QRS-Komplexe und spitze T-Wellen auf eine Hyperkaliämie hin. Ist dies der Fall sollte bereits präklinisch durch den NA medikamentös eingegriffen werden, z.B. mit Calciumchlorid, Insulin und Glukose. 

Weiterhin sollten Frakturen geschient und ggf. steril abgedeckt werden.

Folgekomplikationen sind vor allem Sepsis, Nierenversagen und Störungen des Elektrolythaushaltes. Folglich sollte ein Krankenhaus angefahren werden, welches über Intensivkapazitäten verfügt.


Quellen

Inhaltsverzeichnis

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Wiebke v. H.

Notfallsanitäterin & Auszubildende zur ATA (Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf)

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