In diesem Teil geht es um die Patientenverfügung. Ein Thema welches im Einsatz hochrelevant ist, aber leider häufig eine erhebliche Herausforderungen für Rettungsdienstpersonal darstellt.
Aus diesem Grund beschäftigen wir uns vollumfänglich mit dem Thema Patientenverfügung und begleitenden Regelungen. Mithilfe von praktischer Einsatzbeispiele und einer Checkliste geben wir eine Hilfestellung für den Umgang mit Patientenverfügungen im täglichen Einsatz “auf der Straße”.
Die Checkliste zu diesem Fachtext findest du hier zum kostenlosen Download: Patientenverfügung Checkliste
Rechtliche Grundlagen zur medizinischen Vertretung im Notfall
Zu Beginn ist festzustellen, dass die Begriffe Patientenverfügung und Vorsorgevollmacht im deutschen Sprachgebrauch oft gemeinsam genannt werden. Sie sind jedoch grundlegend unterschiedliche Instrumente, um die Selbstbestimmung in Situationen zu sichern, in denen keine eigene Entscheidung mehr getroffen werden kann. Beide Dokumente sollen sicherstellen, dass der Wille des Patienten auch dann Berücksichtigung findet, wenn der Patient diesen nicht mehr selbst äußern kann. Dennoch unterscheiden sich die Dokumente in Zielsetzung, Reichweite und Anwendung erheblich.
Zusätzlich sind Betreuungsverfügungen und das Ehegattennotvertretungsrecht, welches seit dem 1. Januar 2023 gilt, relevante rechtliche Grundlagen, welche dem Rettungsdienstpersonal bei der täglichen Arbeit ein Begriff sein sollten und welche daher im Verlauf ebenfalls besprochen werden.
Patientenverfügung
Die Patientenverfügung (§ 1827 BGB) ermöglicht es einer Person, im Zustand voller Einwilligungsfähigkeit rechtsverbindlich festzulegen, ob sie in bestimmte medizinische Maßnahmen wie Untersuchungen, Heilbehandlungen oder ärztliche Eingriffe einwilligt oder diese ausdrücklich ablehnt, falls sie später nicht mehr selbst entscheiden kann. Sie bildet die Grundlagen für die Ausübung des Selbstbestimmungsrechts gemäß Art. 2 Grundgesetz, wonach jeder Mensch das Recht hat selbst über die freie Entfaltung seiner Persönlichkeit zu entscheiden und hat entsprechend einen sehr hohen (rechtlichen) Stellenwert.
Die Patientenverfügung dient damit der Wahrung des Selbstbestimmungsrechts in medizinischen Grenzsituationen, etwa bei schweren Erkrankungen, Koma oder Demenz. Sie entfaltet rechtliche Wirkung, sobald die betroffene Person nicht mehr einwilligungsfähig ist und richtet sich an Ärzte, Pflegepersonal sowie an bevollmächtigte oder betreuende Personen. Eine Besonderheit der Patientenverfügung liegt im sogenannten Bestimmtheitsgrundsatz: Sie muss klar und konkret sowohl die medizinische Situation als auch die gewünschten oder abgelehnten Maßnahmen beschreiben. Allgemeine Formulierungen wie „keine lebenserhaltenden Maßnahmen“ reichen nicht aus. Die Patientenverfügung muss schriftlich vorliegen, kann aber jederzeit formlos widerrufen oder geändert werden.
Für Rettungsdienstpersonal ist sie insbesondere in Situationen mit unklarer Einwilligungsfähigkeit oder bei kritisch kranken Patienten von hoher Bedeutung. Problematisch ist jedoch häufig die Auffindbarkeit sowie die genaue Ausgestaltung der Verfügung im Einzelfall.
Vorsorgevollmacht
Mit einer Vorsorgevollmacht (§ 1820 BGB) bevollmächtigt ein Patient eine Vertrauensperson, stellvertretend in gesundheitlichen Angelegenheiten zu handeln, falls der Patient selbst geschäfts- oder einwilligungsunfähig wird. Der Bevollmächtigte kann ärztlichen Maßnahmen zustimmen oder sie ablehnen – orientiert an den schriftlich dokumentierten Behandlungswünschen oder dem mutmaßlichen Willen des Patienten. Voraussetzung ist ein enges Vertrauensverhältnis und eine gründliche vorherige Abstimmung über die Erwartungen und Aufgaben.
Eine schriftliche Form der Vollmacht ist gesetzlich erforderlich, wenn Entscheidungen mit einem Risiko für das Leben oder erhebliche gesundheitliche Schäden verbunden sind (§ 1820 Abs. 2 BGB). Dabei muss ausdrücklich erkennbar sein, dass die Vollmacht auch für solch schwerwiegende Situationen gelten soll.
Für den Rettungsdienst bedeutet das Vorliegen einer wirksamen Vollmacht, dass die benannte Vertrauensperson rechtsverbindlich für den Patienten handeln darf. Die gilt insbesondere bei medizinischen Fragen oder der Zustimmung zu medizinischen Eingriffen. Bei unklarer Entscheidungsfähigkeit des Patienten sollte nach einer Vorsorgevollmacht gefragt bzw. gesucht werden und dann umgehend Kontakt zur bevollmächtigten Person aufgenommen werden.
Betreuungsverfügung
Die Betreuungsverfügung (§ 1816 Abs. 2 BGB) soll eine gerichtlich angeordnete Betreuung gemäß der Wünsche der zu betreuenden Person näher ausgestalten. Sie ermöglicht es der einwilligungsfähigen Person, im Voraus Wünsche zur Auswahl des künftigen Betreuers sowie zur konkreten Ausgestaltung der Betreuung schriftlich festzulegen. Diese Festlegungen sind für das Betreuungsgericht und den später eingesetzten Betreuer grundsätzlich bindend, solange sie dem Wohl der betroffenen Person nicht widersprechen.
Im Gegensatz zur Vorsorgevollmacht, die eine Betreuung durch das Gericht vermeiden soll, greift die Betreuungsverfügung erst, wenn das Betreuungsgericht tatsächlich eine Betreuung anordnet. Sie ist vor allem dann dann sinnvoll, wenn keine Vertrauensperson für eine Vorsorgevollmacht zur Verfügung steht oder wenn die betreuende Person einer strikteren gerichtlichen Kontrolle unterliegen soll. Anders als Vorsorgebevollmächtigte sind gesetzliche Betreuer verpflichtet, regelmäßig über ihre Tätigkeit Bericht an das Gericht zu erstatten.
Im rettungsdienstlichen Kontext kann die Betreuungsverfügung Hinweise darauf liefern, wer im medizinischen Notfall kontaktiert werden soll. Die Betreuungsverfügung enthält jedoch keine konkreten medizinischen Wünsche und ersetzt somit keine Patientenverfügung. Für den Rettungsdienst ist sie in der konkreten Einsatzsituation daher als nachrangig anzusehen.
Ehegattennotvertretung
Seit dem 1. Januar 2023 gilt in Deutschland ein gesetzliches Ehegattennotvertretungsrecht (§ 1358 BGB). In akuten medizinischen Notfällen dürfen Ehegatten oder eingetragene Lebenspartner ihren nicht mehr entscheidungsfähigen Partner in Gesundheitsangelegenheiten vertreten. Dies betrifft Entscheidungen über Behandlungen, Krankenhausaufenthalte oder Rehabilitationsmaßnahmen. Die Vertretung ist auf maximal sechs Monate begrenzt und endet automatisch, sobald der Patient wieder einwilligungsfähig ist. Eine Pflicht zur Vertretung besteht jedoch nicht.
Das Vertretungsrecht entfällt, wenn die Ehegatten getrennt leben, bereits eine Vorsorgevollmacht besteht oder ein gerichtlicher Betreuer eingesetzt wurde. Ebenso kann der betroffene Ehegatte der Vertretung formlos widersprechen.
Für Rettungskräfte bedeutet das: In Notfällen kann der Ehegatte grundsätzlich Ansprechpartner für medizinische Entscheidungen sein, solange keine gegenteiligen Hinweise vorliegen. Nicht umfasst sind freiheitsentziehende Maßnahmen wie Fixierungen oder Unterbringung.
Die Patientenverfügung im Rettungsdienst
Die Patientenverfügung ist im Bürgerlichen Gesetzbuch im Betreuungsrecht unter dem Titel “Patientenverfügung; Behandlungswünsche oder mutmaßlicher Wille des Betreuten” geführt und ist in § 1827 BGB normiert.
Patientenverfügung; Behandlungswünsche oder mutmaßlicher Wille des Betreuten – § 1827 BGB
(1) Hat ein einwilligungsfähiger Volljähriger für den Fall seiner Einwilligungsunfähigkeit schriftlich festgelegt, ob er in bestimmte, zum Zeitpunkt der Festlegung noch nicht unmittelbar bevorstehende Untersuchungen seines Gesundheitszustands, Heilbehandlungen oder ärztliche Eingriffe einwilligt oder sie untersagt (Patientenverfügung), prüft der Betreuer, ob diese Festlegungen auf die aktuelle Lebens- und Behandlungssituation des Betreuten zutreffen. Ist dies der Fall, hat der Betreuer dem Willen des Betreuten Ausdruck und Geltung zu verschaffen. Eine Patientenverfügung kann jederzeit formlos widerrufen werden.
(2) Liegt keine Patientenverfügung vor oder treffen die Festlegungen einer Patientenverfügung nicht auf die aktuelle Lebens- und Behandlungssituation des Betreuten zu, hat der Betreuer die Behandlungswünsche oder den mutmaßlichen Willen des Betreuten festzustellen und auf dieser Grundlage zu entscheiden, ob er in eine ärztliche Maßnahme nach Absatz 1 einwilligt oder sie untersagt. Der mutmaßliche Wille ist aufgrund konkreter Anhaltspunkte zu ermitteln. Zu berücksichtigen sind insbesondere frühere Äußerungen, ethische oder religiöse Überzeugungen und sonstige persönliche Wertvorstellungen des Betreuten.
(3) Die Absätze 1 und 2 gelten unabhängig von Art und Stadium einer Erkrankung des Betreuten.
(4) Der Betreuer soll den Betreuten in geeigneten Fällen auf die Möglichkeit einer Patientenverfügung hinweisen und ihn auf dessen Wunsch bei der Errichtung einer Patientenverfügung unterstützen.
(5) Niemand kann zur Errichtung einer Patientenverfügung verpflichtet werden. Die Errichtung oder Vorlage einer Patientenverfügung darf nicht zur Bedingung eines Vertragsschlusses gemacht werden.
(6) Die Absätze 1 bis 3 gelten für Bevollmächtigte entsprechend.
Rechtliche & formelle Voraussetzungen
Eine Patientenverfügung muss stets in Schriftform vorliegen und eigenhändig unterschrieben sein, sie ist unbegrenzt gültig. Sie kann jederzeit von der sie betreffenden einwilligungsfähigen Person formlos widerrufen oder geändert werden, auch ein mündlicher Widerruf ist rechtsgültig. Eine notarielle Beglaubigung ist für die Wirksamkeit nicht notwendig.
Die Patientenverfügung kann nur von volljährigen und einwilligungsfähigen Personen wirksam errichtet werden. Die betroffene Person muss bei Errichtung der Verfügung demnach vollständig in der Lage sein die Bedeutung und Tragweite der von ihr festgelegten Entscheidungen zu verstehen. Die Errichtung einer Patientenverfügung muss komplett freiwillig und ohne Zwang erfolgen.
Eine Patientenverfügung ist nur im Original gültig, eine Kopie reicht aufgrund der fehlenden eigenhändigen Unterschrift nicht aus. Die Kopie kann aber zur Ermittlung des mutmaßlichen Patientenwillen genutzt werden.
Rechtliche & formelle Voraussetzungen – Auf einen Blick
- Schriftform
- eigenhändige Unterschrift (Original erforderlich)
- Volljährigkeit
- Einwilligungsfähigkeit
- Freiwilligkeit
- unbegrenzt gültig, Widerruf bei Einwilligungsfähigkeit jederzeit formlos möglich
Inhaltliche Voraussetzungen
In der Patientenverfügung werden Festlegungen für medizinische als auch pflegerische Entscheidungen getroffen, welche zum Zeitpunkt der Errichtung noch nicht unmittelbar bevorstehen. Bei diesen Festlegungen handelt es sich um Einwilligungen oder Untersagungen in konkrete Maßnahmen und für konkrete Situationen. Allgemeine Formulierungen sind nicht zulässig und müssen nicht beachtet werden, sofern diese losgelöst von einer konkreten Behandlungssituation stehen.
Es ist keine vorherige Aufklärung für die wirksame Einwilligung oder Untersagung von Maßnahmen notwendig, weshalb stets empfohlen wird eine Patientenverfügung in Zusammenarbeit mit einem Arzt zu erstellen, um die medizinische und pflegerische Reichweite der Entscheidungen zu verstehen.
Inhaltliche Voraussetzungen – Auf einen Blick
- Festlegungen für:
- konkrete Situation
- konkrete Maßnahmen mit Einwilligung / Ablehnung
- zum Zeitpunkt der Errichtung noch nicht unmittelbar bevorstehend
Die Rolle des Betreuers / des Bevollmächtigten
Die Rolle des Betreuers bzw. des Bevollmächtigten ist juristisch nicht eindeutig geklärt, weshalb sich immer wieder rechtliche Fragen in diesem Zusammenhang stellen. Fraglich ist, ob zwingend ein Betreuer bzw. Bevollmächtigter zur Umsetzung einer wirksamen Patientenverfügung vorhanden sein muss oder ob die reine Patientenverfügung ausreichend ist.
Das Bundesministerium für Justiz und Verbraucherschutz schreibt zu der Frage, ob eine Patientenverfügung beachtet werden muss: “Die Ärztin oder der Arzt, aber auch alle anderen Personen, die mit Ihrer medizinischen Behandlung befasst sind, also etwa Krankenhaus und Pflegepersonal, müssen eine derart verbindliche Patientenverfügung beachten, auch wenn keine Vertreterin oder kein Vertreter bestellt ist.”
Andererseits wird davon ausgegangen, dass die Stellung des Betreuers bzw. Bevollmächtigten durchaus relevant ist und eine Patientenverfügung ohne die Existenz eines Betreuers nicht anwendbar ist. Hierauf weist auch der Gesetzestext hin, welcher eine Prüfung des Betreuers auf die Anwendbarkeit der Patientenverfügung verlang (“prüft der Betreuer”) und den Betreuer damit beauftragt, “dem Willen des Betreuten Ausdruck und Geltung zu verschaffen”.
Rechtsanwalt Frank Sarangi sieht diesen Wortlaut allerdings als nicht zutreffend an, was auch der eigentlichen Intention einer Patientenverfügung, nämlich der Umsetzung des eigenen Willens, stärker folgt: “Entgegen dem missglückten Wortlaut von § 1827 Abs. 1 BGB ist für die Umsetzung des Willens aus der Patientenverfügung gerade kein Betreuer erforderlich. Steht der Patient mit einer wirksamen Patientenverfügung also nicht unter Betreuung, so muss für die Umsetzung der Patientenverfügung auch keine Betreuung eingerichtet werden.” (vgl. Frank Sarangi LL.M, Die Patientenverfügung im Notarzteinsatz – eigentlich ganz einfach?; Notarzt 2023; 39: 181–183) Sollte allerdings eine Betreuung bestehen, muss der Betreuer dem in den Verfügung erklärten Willen des Patienten umsetzen.
Wird der Ansicht gefolgt, dass ein Betreuer für die Umsetzung einer wirksamen Patientenverfügung zwingend notwendig ist, so ist eine reine Patientenverfügung ohne Anwesenheit oder Bestellung eines Betreuers bzw. Bevollmächtigten im Rettungsdienst aufgrund des verbundenen Zeitverlustes in einer Vielzahl der Fälle nicht anwendbar und es muss eine Behandlung durchgeführt werden (siehe unten), bis ein Betreuer gegebenenfalls im Eilverfahren bestellt wurde.
Zu diesem Schluss kommt auch Dirk Ohlsen: „Da die Existenz eines Betreuers nach dem Wortlaut des § 1901a Abs. 1 S.1, 2 [alte Normierung] auch bei wirksamer Patientenverfügung zwingend erforderlich ist, muss ein solcher gegebenenfalls im Eilverfahren ernannt werden.“ (vgl. Olzen, Dirk. “Die gesetzliche Neuregelung der Patientenverfügung” Juristische Rundschau, vol. 2009, no. 9, 2009, pp. 354-362.)
Prof. Dr. Volker Lipp und Klaus Strasser schreiben: „In […] Notfällen darf der Arzt regelmäßig davon ausgehen, dass der Patient einer medizinisch indizierten Maßnahme zugestimmt hätte und sie daher seinem mutmaßlichen Willen entspricht. Nach Abwendung der unmittelbaren Gefahr hat der Arzt das Betreuungsgericht zu informieren und die Bestellung eines Betreuers anzuregen.“ (vgl. Prof. Dr. Volker Lipp/Klaus Strasser, Menschenrechte am Lebensende – Erfahrungen mit dem Patientenverfügungsgesetz BtPrax 2012, 103)
So soll auch verhindert werden, dass der Patient seine Patientenverfügung gegebenenfalls gegenüber seinem Betreuer widerrufen hat und der Rettungsdienst hiervon keine Kenntnis erhält, da er nicht mit dem vorhandenen Betreuer gesprochen hat (vgl. Prof. Dr. Christian Jäger, Die Patientenverfügung und der Jurist).
Andere Auslegungen gehen stattdessen davon aus, dass das Risiko eines geänderten und sich nicht mehr mit der Patientenverfügung deckenden Willens vom Patienten zu tragen ist (vgl. RA Bastian Biermann, Präsentation auf dem Internistischer Notfallmedizinkongress Heidelberg).
Es bleibt also festzustellen, dass die Frage nach einem Betreuer nicht sicher geklärt ist. Es kann nur empfohlen werden, jedwede Entscheidungsfindung im Einsatz ob für oder gegen die Patientenverfügung ausführlichst zu dokumentieren. Im Zweifel gilt für das Leben! Eine nicht durchgeführte aber gewünschte Behandlung wäre ein fataler Irrtum, der nicht wieder gutzumachen wäre.
CAVE: unklare Rechtslage!
Wir versuchen weitere Recherchen zu diesem Thema anzustellen und informieren Euch hier umgehend über etwaige Ergebnisse. Bei Zweifeln um die rechtliche Auslegung sollte stets eine präklinische Behandlung durchgeführt werden und eine weitere genaue Prüfung der Patientenverfügung im Krankenhaus erfolgen.
Bindungswirkung im Rettungsdienst
Eine Patientenverfügung richtet sich an alle an der Behandlung und Pflege beteiligten Personen. Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (BGH) ist eine Patientenverfügung somit auch für nicht-ärztliches Rettungsdienstpersonal rechtlich verbindlich. Der Gesetzgeber hat grundsätzlich darauf verzichtet, die Patientenverfügung nur dort anzuerkennen, wo die Einwilligungsfähigkeit unumkehrbar verloren ist. Sie gilt daher auch bei nur temporärer Einwilligungsunfähigkeit. Vorausgesetzt natürlich, sie entspricht den oben beschriebenen Voraussetzungen und bezieht sich eindeutig auf die aktuelle Notfallsituation und ist somit anwendbar.
Wenn aber aufgrund der akuten Notfallsituation keine Zeit bleibt um die Patientenverfügung ausreichend zu prüfen oder sich Zweifel an der Wirksamkeit der Patientenverfügung zeigen, sollte zwingend eine Behandlung durchgeführt werden! Eine eingehende Prüfung der Patientenverfügung ist in der Präklinik regelmäßig aufgrund des Umfangs und der fehlenden Informationen nicht möglich. Eine finale Entscheidung muss dann im Krankenhaus durchgeführt werden. Der BGH vertritt hier die Auffassung, dass eine Verlängerung des Lebens nicht als Schaden angesehen werden kann (“Erlittenes Leben ist kein Schaden”, vgl. BGH Urteil vom 02.04.2019).
Spannend ist auch die Frage um den Abbruch oder den Beginn von Reanimationsmaßnahmen, wenn zeitnah kein Notarzt an der Einsatzstelle verfügbar ist. Die Patientenverfügung richtet sich zwar an alle an der Versorgung beteiligten Akteure, jedoch wird weiterhin davon ausgegangen, dass das Nichtdurchführen bzw. Abbrechen von Maßnahmen eine ärztliche Entscheidung voraussetzt. Es kann daher Notfallsanitätern nur empfohlen werden, diese Entscheidung und damit auch das Haftungsrisiko einem Notarzt zu überlassen. Auch hier gilt die BGH Entscheidung “Erlittenes Leben ist kein Schaden”!
Dennoch gilt weiterhin auch: Werden Maßnahmen durch den Rettungsdienst und Notarzt durchgeführt, welche in der Patientenverfügung durch den Patienten untersagt worden sind, fehlt die Einwilligung und es kann eine Straftat (bspw. Körperverletzung) vorliegen.
Typischer Aufbau
Es ist kein einheitlicher Aufbau für eine Patientenverfügung vorgeschrieben, häufig wird aber ein identischer Aufbau genutzt:
- Betreffende Person: Zu Beginn der Patientenverfügung sollte klar ersichtlich sein, für welche Person die vorliegende Patientenverfügung gilt. Mindestens der Name und optimalerweise das Geburtsdatum sollten vermerkt sein, um eine sichere Zuordnung zu gewährleisten.
- Datum der Errichtung: Das Datum der Errichtung der Patientenverfügung sollte ersichtlich sein. Zusätzlich kann vermerkt werden, wann die Verfügung zuletzt überarbeitet bzw. geprüft wurde um die Aktualität leichter kontrollieren zu können.
- Interpretationshilfe & Wertvorstellung: Zur Einordnung des konkreten Willen des Patienten ist es hilfreich, wenn Interpretationshilfen oder die aktuelle Wertvorstellungen des Patienten niedergeschrieben wurden.
- konkrete Situation: Daraufhin folgt die konkreten Situationen, in welchen die vorliegende Patientenverfügung zur Anwendung kommen soll.
- Einwilligung & Ablehnung: Für die zuvor beschriebene konkrete Situation folgt die Festlegung der Einwilligung oder Ablehnung in die aufgeführten medizinischen und pflegerischen Maßnahmen.
- Unterschrift: Abschließend muss die Patientenverfügung eigenhändig durch die sie betreffende Person unterschrieben werden. Ein Orts- und Datumsvermerk sind nicht notwendig aber empfohlen.
Praktische Probleme in der Präklinik
Häufigkeit
Im Jahr 2023 besaßen 44,6% aller befragten Personen eine Patientenverfügung, wobei dieser Wert seit Jahren steigt. Dabei ist festzustellen, dass ältere Menschen deutlich häufiger über eine Patientenverfügung verfügen als Jüngere und Frauen im Schnitt häufiger als Männer. Personen mit gesundheitlichen Einschränkungen sowie Verwitwete oder Menschen in Partnerschaften besitzen häufiger eine Patientenverfügung als Alleinstehende. Wohnregion, Bildung oder Einkommen haben keinen signifikanten Einfluss auf das Vorhandensein einer Patientenverfügung.
Selbst eine 75% Verbreitung im hohen Altersbereich von 80 bis 90 Jahren bedeutet, dass 25% der Patienten keine Patientenverfügung besitzen. Im jüngeren Altersbereich liegt die Zahl der Personen ohne Patientenverfügung noch einmal deutlich höher. Der Rettungsdienst trifft also immer noch zu einer hohen Wahrscheinlichkeit auf Personen ohne eine Patientenverfügung.

Auffindbarkeit
Als Hauptproblem stellt sich im Einsatz weiterhin die Auffindbarkeit der Patientenverfügung dar. Angehörige sind oft überfordert oder können die Verfügung nicht rechtzeitig vorlegen oder wissen nicht, wo diese aufzufinden ist. Gleiches gilt leider auch regelmäßig für Altenpflegeheime in denen die Unterlagen unvollständig vorgehalten werden oder erst aufwendig herausgesucht werden müssen.
Hilfreich kann hier eine Notfallmappe mit allen relevanten Dokumenten wie Patientenverfügung, Medikamentenplänen und Arztbriefen sein (welche zugänglich aufbewahrt werden muss). Auch Notfalldosen oder Aufkleber an nicht zu übersehenden Stellen können die Auffindbarkeit wichtiger Informationen verbessern.
Beispiel 1: “Patientenverfügung als Kopie”
Der Rettungsdienst wird in ein Pflegeheim alarmiert und findet einen schwer erkrankten Patienten vor. Die vorliegende Patientenverfügung wird als Kopie vorgelegt. Sie ist bereits mehrere Jahre alt und wurde augenscheinlich bereits mehrfach kopiert.
→ Die vorliegende Patientenverfügung erfüllt nicht die rechtlichen und formellen Voraussetzung und ist aus diesem Grund unbeachtlich. Es muss nun der konkrete Patientenwille erforscht werden, als Hilfestellung kann jedoch die unbeachtliche Patientenverfügung herangezogen werden. Im Zweifel ist davon auszugehen, dass eine bestmögliche Versorgung gewünscht wird.
Akutsituation und Entscheidungsfindung
Der Zeitdruck im Einsatzfall, die medizinische Dringlichkeit und das Fehlen persönlicher Informationen über den Patienten erschweren eine differenzierte Entscheidung in einer angemessenen Zeit. Angehörige sind emotional involviert und äußern teils widersprüchliche Wünsche, was zu Unsicherheiten im präklinischen Team führen kann.
Beispiel 2: “Laufende Reanimation bei Eintreffen”
Der Rettungsdienst wird zu einer laufenden Reanimation einer 87-jährigen Patientin gerufen, bei Eintreffen löst das Team die Angehörigen ab und übernimmt die Reanimationsmaßnahmen. Als im Verlauf ausreichend Personal an der Einsatzstelle verfügbar ist, prüft der Notarzt die von Beginn an vorliegende Patientenverfügung.
Dabei stellt er fest, dass alle notwendigen Voraussetzungen erfüllt sind und die Patientenverfügung somit beachtlich und verbindlich ist. In der Patientenverfügung wird für die konkrete Situation festgelegt, dass Versuche zur Wiederbelebung unterlassen werden sollen. Das Team stellt daraufhin die Reanimationsmaßnahmen ein.
→ Die vorliegende Patientenverfügung erfüllt alle Voraussetzung und lag unmittelbar bei Eintreffen des Rettungsdienstes vor. Aufgrund der akuten Lebensgefahr mussten jedoch erste notwendige Maßnahmen getroffen werden. In diesem Fall muss so gehandelt werden, da andernfalls gewünschte Maßnahmen auf Grund einer zu langen Dauer ohne Reanimation möglicherweise keinen Erfolg mehr versprechen würden.
Zudem sind sich widersprechende Informationen aus Patientenverfügung und Angaben von Angehörigen ein Problem. Es muss stets dem aktuelle Patientenwillen gefolgt werden. Aus diesem Grund muss erforscht werden, ob die Patientenverfügung den aktuellen Willen des Patienten nicht mehr widerspiegelt oder es sich lediglich um persönliche Wünsche der Angehörigen handelt, obwohl die Patientenverfügung weiterhin den aktuellen Patientenwillen darstellt.
Beispiel 3.1: “Widersprechende Aussagen von Patientenverfügung und Angehörigen”
Der Rettungsdienst wird zu einem schwer vorerkrankten und bereits in palliativer Behandlung befindlichen Patienten in die Häuslichkeit alarmiert. Aktuell hat sich der Zustand des Patienten deutlich verschlechtert, was sich nach ausführlicher Untersuchung und Anamnese auf seine Vorerkrankungen zurückzuführen lässt und auf einen beginnenden Sterbeprozess hinweist.
Nach Durchsicht der ein Jahr alten Patientenverfügung kommt das Team zum Schluss, dass die Patientenverfügung alle notwendigen Voraussetzungen erfüllt und demnach beachtlich und verbindlich ist. Aus der Patientenverfügung geht hervor, dass keine Maßnahmen durch den Rettungsdienst oder das Krankenhaus mehr gewünscht sind und der Patient zu Hause versterben möchte.
Der ebenfalls anwesende Sohn fordert den Rettungsdienst jedoch dazu auf, den Patienten in ein Krankenhaus zu bringen: “Papa darf nicht sterben, dass kann ich einfach nicht verkraften. Sie müssen alles tun was sie können”.
→ Die beachtliche Patientenverfügung trifft für die Situation konkrete Aussagen welche den Patientenwillen widerspiegeln. Die Aussage des Sohns gibt keinen Hinweis darauf, dass sich der Wille des Patienten geändert hat. Stattdessen handelt es sich bei der Aufforderung zur Behandlung um einen persönlicher Wunsch des Sohnes. Der Patientenverfügung muss demnach gefolgt werden!
mutmaßlicher Wille
Sollte keine Patientenverfügung vorliegen oder diese nicht mehr den aktuellen Lebens- und Behandlungssituation des Patienten widerspiegeln muss der mutmaßlichen Behandlungswunsch oder Willen des Patienten festgestellt werden. Dieser mutmaßliche Wille des Patienten ist aufgrund konkreter Anhaltspunkte durch das präklinische Team zu ermitteln. Hierzu sollen frühere Äußerungen des Patienten, ethische oder religiöse Überzeugungen und sonstige persönliche Wertvorstellungen einbeziehen.
Diese Einschätzung ist für Rettungskräfte im präklinischen Setting kaum leistbar, da diese den Patienten in der Regel nicht kennen und selbst mithilfe von Angehörigen oder vertrauten Pflegekräften selten sicher zu treffen. Im Zweifel muss zur Entscheidungsfindung und um das Haftungsrisiko für Notfallsanitäter auszuschließen ein Notarzt hinzugezogen werden!
Beispiel 3.2: “Widersprechende Aussagen von Patientenverfügung und Angehörigen”
Anders wäre der Fall aus Beispiel 3.1, wenn der Sohn sagen würde: “Mein Vater hat vor zwei Monaten gesagt, dass wenn etwas passiert alles gemacht werden soll, damit er noch länger lebt. Immerhin wird er in zwei Wochen Opa und will seine Enkelin noch kennenlernen.” Diese Aussage bestätigt auch die anwesende ambulante Pflegekraft: “Er freut sich so auf sein Enkelkind.”
→ In diesem Fall äußert der Sohn keinen persönlichen Wunsch, sondern verweist auf einen geänderten Patientenwillen. Die Patientenverfügung passt nicht mehr zur aktuellen Lebenswirklichkeit des Patienten. In diesem Fall gilt die Patientenverfügung als unbeachtlich und der konkrete Patientenwille muss erforscht werden, was eine bestmögliche Behandlung bedeuten kann.
Digitale Perspektiven für die Zukunft
Die Digitalisierung im Gesundheitswesen bietet großes Potenzial, die Verfügbarkeit und Umsetzbarkeit von Patientenverfügungen auch in der präklinischen Notfallmedizin zu verbessern, sofern eine zuverlässige technische Infrastruktur und eine gesetzliche Grundlage geschaffen wird. Die oben beschriebenen Schwierigkeiten im Einsatz führen aktuell immer noch dazu, dass selbst wirksame Patientenverfügungen in der Praxis oft unbeachtet bleiben.
Elektronische Patientenakte (ePA) als Chance
Ein wichtiger erster Schritt wurde mit dem Zentralen Vorsorgeregister (ZVR) der Bundesnotarkammer unternommen. Hier können Vorsorgevollmachten, Betreuungsverfügungen und auch Patientenverfügungen registriert werden. Der Zugriff auf diese Daten ist bislang jedoch vorrangig Gerichten und bestimmten Berufsgruppen vorbehalten – nicht aber dem Rettungsdienst.
In Österreich (ELGA) und der Schweiz (EPD) gibt es bereits Modelle, bei denen Patientenverfügungen in digitale Gesundheitsakten eingebettet sind. Auch in Deutschland existiert mit der elektronischen Patientenakte (ePA) ein offizielles System, das künftig auch die Integration von Patientenverfügungen ermöglichen soll.
Voraussetzung für den Einsatz in der Praxis
Um Patientenverfügungen im Rettungsdienst sinnvoll nutzen zu können, wären folgende Entwicklungen hilfreich:
- Mobiler Echtzeitzugriff für die Präklinik: Rettungsdienste sollten mit mobilen Geräten (z. B. Tablets mit ZVR- oder ePA-Schnittstelle) ausgestattet werden, um vor Ort sicher auf Patientenverfügungen zugreifen zu können.
- Verpflichtender Upload in die ePA: Durch eine gesetzliche Vorgabe könnten Patientenverfügungen verpflichtender Bestandteil der elektronischen Patientenakte werden – abrufbar für alle behandelnden Einrichtungen mit Notfallzugang und damit auch ohne schriftliches Originaldokument gültig.
- Integration in Leitstellen und Klinik-Informationssysteme: Der Zugriff auf Patientenverfügungen sollte bei vorhandenen Daten direkt in das Einsatzleitsystem integriert sein, sodass die Leitstelle dem Rettungsdienst bereits auf dem Weg zur Einsatzstelle entsprechende Hinweise übermitteln kann. Auch Kliniken können somit frühzeitig informiert werden.
- Einheitlicher Aufbau: Um in Notfallsituationen unter Zeitdruck alle Informationen schnell und sicher aufzufinden, wäre ein einheitlicher Aufbau aller Patientenverfügungen wünschenswert.
- Standardisierte Digitalformate: Für eine automatisierte Erkennung und Überprüfung der Gültigkeit von Patientenverfügungen wären maschinenlesbare Formate erforderlich.
Nächstes Mal…
Moment noch! Hast Du eigentlich eine Patientenverfügung? Wenn nicht können wir dir nur empfehlen dich mit dem Thema deiner eigenen Patientenverfügung zu beschäftigen. Auf der Seite der Verbraucherzentralen kannst du interaktiv deine Patientenverfügung zusammenstellen oder du nutzt diese Vorlage der Malteser.
… geht es um das Thema Transportverweigerung. In Teil 7 (Erscheinungstermin noch unklar) unserer Serie zum Thema Recht klären wir dazu spannende Fragen und bringen Licht ins Dunkle.
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